Ein Lied an Kenia
Als „Autopsie“ bezeichnet Yvonne Adhiambo Owuor, faszinierende Autorin aus Kenia, ihr Schreiben, eine Arbeit an Leichen: Odidi Oganda wird 2007 in einer Polizei-Falle erschossen, seine Schwester, Arabel Ajany, begleitet den Leichnam aufs Familienanwesen „Wuoth Ogik“, den „Ort, an dem die Reise endet“. Von dort aus macht sie sich mit Isaiah, einem jungen Engländer, auf die Suche nach einer Geschichte, die die Rätsel, das Schweigen und den Schmerz der Gegenwart erklären sollen. Ihre Suche folgt einer Spur unaufgearbeiteter Verbrechen von der Kolonialzeit bis in die Gegenwart. Individuelle Schicksale – ein Viehdieb und Waffenhändler, früher Mitglied der kenianischen Armee, ein Polizist und ehemaliger Folterer des Regimes, ein heilender Händler, eine raue, unerschrockene Nomadin – mosaikartig zusammengefügt ergeben sie ein Porträt der bewegten Geschichte Kenias. Owuors erster Roman, perfekt komponiert, mixt Elemente aus verschiedenen Genres – Krimi, Melodram, Comic, Politdrama, Familienepos, Film. Ein Roman großer Bilder und Charaktere, wie für die Leinwand geschrieben, erkennbar die Handschrift einer Cineastin. Momente poetischer Eindringlichkeit, Owuor malt, modelliert mit Worten, wie ihre Protagonistin mit Modelliermasse, Farbe und Papier Bilder und Skulpturen formt. Opernhaft der Ausdruck von Emotionen, es wird exzessiv gelitten, es wird – etwas oft – in die Knie gegangen, aufgestöhnt und gekeucht. Exzessiv aber auch die Freude an Sprache, die wunderbare Sätze hervorbringt, Kunstwerke für sich, die wieder und wieder gelesen, genossen werden wollen. Toll übersetzt von Simone Jakob. Martina Kopf
Yvonne Adhiambo Owuor: Der Ort, an dem die Reise endet. Aus dem Engl. von Simone Jakob. 512 Seiten, DuMont Buchverlag, Köln 2016 EUR 23,70