Gender Studies im Widerspruch

Die Universität Wien befindet sich in Feierstimmung – 650 Jahre ist sie alt geworden. Und das zelebriert sie unter anderem mit einer Veranstaltungsreihe zum Thema Gendergerechtigkeit, scheinbar ohne die Ironie wahrzunehmen, die in der Diskrepanz zwischen ihrer öffentlichen Darstellung und der tatsächlichen Umsetzung liegt.

Zu Beginn des Jubiläums wirbt die Universität mit dem Slogan „Besserwisserin seit 1365“. Eine interessante Formulierung, wurde die Zulassung der Frauen zur höheren Bildung in Österreich doch erst zum Ende des neunzehnten, Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts umgesetzt. Seit dem dezidierten Ausschluss weiblicher Studierender hat sich die Universität jedoch um einiges weiterentwickelt. In den 80ern des zwanzigsten Jahrhunderts waren erstmals fünfzig Prozent der Studierenden Frauen, Frauen- und Geschlechterforschung wurde Teil des Angebots an unterschiedlichen Instituten und es wurden Sonderkontingente für die Etablierung der Geschlechterlehre eingerichtet. In den vergangenen Jahrzehnten entstand in Wien innerhalb und außerhalb der Universität ein international anerkannter, kritisch-feministischer Schwerpunkt, seit 2006 können Gender Studies auch als Master studiert werden. „Im Master Gender Studies gibt es so viele Studierende wie noch nie und ich bekomme Anfragen von Studierenden aus dem Ausland, die für die Dissertation nach Wien kommen wollen, um Genderthemen zu bearbeiten“, erzählt Birgit Sauer, Professorin am Institut für Politikwissenschaft.

In Gleichzeitigkeit zur kritischen Hinterfragung des wissenschaftlichen Wissens aus Geschlechterperspektive sind auch die Personal- und Machtverhältnisse konstant Thema. So ist die gläserne Decke der Universität immer noch nicht durchbrochen. Ein Blick auf die Stellenverteilung der Hochschule zeigt, dass der Frauenanteil in höheren Positionen markant abnimmt. 2014 lag der Anteil der Professorinnen bei 26%, auf der Rektorstafel im Hauptgebäude der Universität findet sich keine einzige Frau. Im Arkadenhof, in dem Denkmäler wichtige WissenschaftlerInnen der Uni Wien ehren, steht die Büste einer einzigen weiblichen Person 153 männlichen gegenüber.

Trotz erfreulicher Neuberufungen wie im Be- reich der „Legal Gender Studies“, gibt es auch immer stärkeren Gegenwind: 2012 emeritierte Eva Kreisky, die Professorin für Politische Theorie am Institut für Politikwissenschaft. Seitdem wurde ihre Stelle nicht nachbesetzt. Eine Berufung mit feministischem Standpunkt ist nicht vorgesehen, dabei wäre gerade hier eine kritische Positionierung wünschenswert. „Geschlechtertheorie und feministische Theorie sind in der Politikwissenschaft im deutschsprachigen Raum stark unterrepräsentiert. Eva Kreisky hat hier an der Universität etwas ganz Bedeutsames aufgebaut“, meint Birgit Sauer. Feministische Wissenschaft, wie sie Eva Kreisky gelehrt hat, bietet in der Politikwissenschaft eine Erweiterung der Perspektive. „Sie kann dazu beitragen, Gesellschaften, Machtverhältnisse und Widerstandsmöglichkeiten besser zu verstehen“, erklärt Universitätsassistentin Brigitte Bargetz. Zahlreiche Publikationen aus diesem Feld werden auch regelmäßig im WeiberDiwan besprochen und sind inzwischen so umfangreich, dass für jede Nummer nur einige ausgewählt werden können.

Auch in den Gender Studies ist die Lage angespannt. Nach dem Auslaufen der Professur von Sigrid Schmitz ist die Weiterführung der Stelle ungewiss. Studierende haben nun das Angebot eines Masters ohne eine zur Verfügung stehende Professur – und das trotz der steigenden Nachfrage. „Wenn die Universität Wien ihre Aussagen im Zuge der 650-Jahr-Feier ernst nimmt, sind verankerte Gender Studies notwendig. Zeitgleich zum Auftakt der Feierlichkeiten die Professur auslaufen zu lassen zeigt, dass die Verhältnisse brüchig sind“, findet Universitätsassistentin Gundula Ludwig. Gabriella Hauch berichtet im Namen der AG UniFrauenJubel, die den Schwerpunkt Geschlechtergerechtigkeit des 650 Jahr Jubiläums gestaltet, von einer möglichen Übergangslösung, die sie erringen konnten: „Der Rektor hat sich zum Vorschlag, eine 2-jährige Gastprofessur für Gender Studies einzurichten – bis zur Neuausschreibung der Professur – positiv geäußert. Gespräche mit verschiedenen Dekanaten, die sich an der Finanzierung beteiligen sollen, sind derzeit im Gange.“

Die Stelle der ordentlichen Gender Studies-Professur ist im Entwicklungsplan der Universität vorgesehen, allerdings nur im Rahmen der budgetären Möglichkeiten. Maria Mesner, nun Studienprogrammleiterin und wissenschaftliche Leiterin der Gender Studies in einer Person, beklagt den Ressourcenmangel: „Der Spielraum an den Universitäten wird immer kleiner. Das betrifft jede kritische Wissenschaft, auch die feministische.“ Klar ist, dass die Universitäten im Zuge der neoliberalen Strömungen verstärkt ökonomisiert werden und sich der internationale sowie nationale Konkurrenzkampf verschärft. „Es wird immer wichtiger, dass möglichst viele Studierende in möglichst kurzer Zeit ein Studium durchlaufen. Unis sind aufgefordert, Drittmittel aufzutreiben. Feministische Theorie lässt sich nicht so leicht zu Geld machen“, erklärt Maria Mesner. Dieser neoliberale Zugang, der gendergerechte Ansätze in eine schwierige Position versetzt, passt nicht zu dem gesellschaftskritischen Bild, das die Universität Wien im Zuge des Jubiläums mit dem Spruch „Wir stellen die Fragen. Seit 1365“ kreiert.

Ebenso im Widerspruch zum Selbstbild der Hochschule steht die Lage am heterodoxen Institut der Wirtschaftsuniversität. Die Einrichtung, deren Aufgabe es ist, sich kritisch mit der vorherrschenden Ökonomie zu beschäftigen, hat seit Jahren mit Einsparungsmaßnahmen zu kämpfen: „Feministische Theorie ist eine klar politische Wissenschaft und wird immer wieder herausfordern. Es geht hier um die Verteilung von Macht, um die Verteilung von Ressourcen und um die Infragestellung herrschender Machtverhältnisse“, meint Maria Mesner.

Während im ÖH-Wahlkampf Fraktionen mit Slogans wie „Gegen sexistisches Gendern“ für sich warben, steht geschlechtergerechte Theorie auch außerhalb der Universitäten unter einem steigenden Rechtfertigungsdruck. „Das geht einher mit einem gesellschaftlichen Alltagsverständnis. Viele sagen, dass Feminismus nicht mehr notwendig ist, weil formale Probleme aus der Welt geschafft wurden und subtile Geschlechterungleichheiten schwerer zu fassen sind“, erklärt Gundula Ludwig. Zusätzlich wird in der Öffentlichkeit häufig ausgeblendet, dass Perspektiven, die heute Teil der Geisteswissenschaften sind, ursprünglich aus einem feministischen Kontext stammen. Dazu gehören unter anderem der Ansatz, das Politische jenseits des Staates zu denken, oder das Thema der Subjektivierung. Auch die Beschäftigung mit Nachhaltigkeit und Umwelt sind feministische Fragestellungen.

Doch selbst innerhalb der Wissenschaften kämpfen Gender Studies und feministische Theorie auch heute noch um die Legitimierung. Birgit Sauer: „Historisch ist die Frauen- und Geschlechterforschung explizit mit einem gesellschaftsverändernden Ansatz angetreten. Das wird immer noch als Makel gesehen. Es heißt dann, das sei Politik und keine Wissenschaft.“ Dabei lässt sich die Relevanz der feministischen Forschung gerade in gesellschaftspolitischen Bereichen nicht leugnen, fährt Sauer fort: „Im Flüchtlingsbereich, in Diskussionen über Islamismus oder beispielsweise in rechtsradikal-populistischen Diskursen ist die Genderfrage immer präsent. Dazu muss sich Wissenschaft äußern, ohne feministische Theoretisierung wüsste ich nicht, wie diese Probleme bearbeitet werden sollen.“

Gerade deswegen ist die Möglichkeit zu gendergerechter Forschung ein starker Anreiz für ein Studium in Österreich und ein Standortfaktor der Universität, so Bargetz. „Es gibt viel ausgebautes Wissen und viele Leute kommen nach Wien, weil es möglich ist feministische Perspektiven und feministische Theorie studieren zu können.“

Der Gendergerechtigkeitsschwerpunkt der Universität Wien zeigt, dass die Hochschule erkannt hat, wie notwendig es ist, sich mit Geschlechterverhältnissen auseinanderzusetzen. Gerade deswegen ist es wichtig, die Feierlichkeiten im Zuge des Jubiläums nicht nur symbolisch für eine Problematisierung der verbesserungswürdigen Umstände zu nutzen. Fest steht, dass gendergerechte Wissenschaft einen wichtigen Beitrag zu kritischer Theoriebildung an der Universität geleistet hat und immer noch leistet. Sollte es das Ziel der Universität Wien sein, ihrer kritisch-wissenschaftlichen Selbstdarstellung zu entsprechen, ist es an der Zeit, den Worten nachhaltige Taten folgen zu lassen. Sarah Yolanda Koss

Sarah Yolanda Koss studiert Politikwissenschaft und schreibt als freie Journalistin. Sie wird bei der Heftpräsentation am 23.6.2015 im U5 in Wien anwesend sein.