Gendersensible Kinderbücher im ACHSE Verlag

Wir sprachen mit Teresa Mossbauer, der Verlagsleiterin des ACHSE Verlags.
WEIBERDIWAN: Teresa, könntest du bitte etwas über euren noch recht jungen Verlag erzählen?
Teresa Mossbauer: Der Verlag wurde 2017 gegründet und kam ursprünglich aus der Kunstszene. Mein Kollege León Schellhaas und ich sind 2018 eingestiegen und haben den Verlag im Laufe der Zeit übernommen und kümmern uns jetzt um alles. Ich habe Philologie studiert und einen Master in Barcelona in ‚Verlegen und Herausgeben‘ absolviert und hatte bereits Erfahrungen in anderen Verlagen gesammelt. Am meisten Spaß würde es mir machen, dachte ich dann, selbst einen kleinen Verlag zu führen. Ich bin eine Allrounderin und möchte nicht so spezialisiert arbeiten, wie es in größeren Verlagen der Fall ist. Dort sind die Aufgaben arbeitsteilig organisiert, eine Person macht das Lektorat, wer anderer die Pressearbeit…
Das Schöne bei uns ist, dass wir ein Buch von Anfang an bis zum Ende der Produktion begleiten und uns auch um das ganze Herum kümmern. Unser erstes Buch erschien 2018. Anfangs haben wir ein bisserl experimentiert. Mittlerweile haben wir uns entschlossen, uns auf Kinderbücher zu konzentrieren.
WEIBERDIWAN: Wie ist es dazu gekommen?
Teresa Mossbauer: Die Entscheidung ist gewachsen, wir haben bemerkt, wie viel Spaß es macht, Kinderbücher herauszugeben. Diese Verknüpfung zwischen Bild und Text erfordert eine andere Arbeitsweise, als wenn man sich mit reiner Literatur beschäftigt. Ein weiterer Aspekt ist, dass es eine Nachfrage nach Kinderbüchern mit Diversitätsansprüchen gibt. Eine Rolle spielt auch die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit unseres Verlages. Bücher kostendeckend produzieren zu können, ist dafür wichtig. Kinderbücher werden gerne gekauft.
WEIBERDIWAN:Vielleicht sagst du uns etwas über eure Verlagslinie?
Teresa Mossbauer: Wir haben in den letzten Jahren sehr viel in Richtung Körper und Aufklärung gearbeitet. Besonders erfolgreich war für uns das Buch Lina, die Entdeckerin, in dem die Vulva im Mittelpunkt steht. Dieses Buch wird sehr gut nachgefragt, es wird jetzt sogar in Italienisch und Japanisch übersetzt. Bei Italienisch hat uns eine feministische italienische Verlegerin angesprochen, die zufällig bei einer Ausstellung auf das Buch gestoßen ist. Bei der japanischen Übersetzung war es ähnlich, da hat eine Japanerin ihrer Freundin in Japan das Buch vorgestellt und die hat dann gemeint, dass sie genau das brauchen. Denn die japanische Gesellschaft sei so schambehaftet und verklemmt und der Inhalt des Buches so offen, so frei. Ja, Lina ist so etwas wie ein Erfolgsschlager geworden. Das Buch hat den Zeitgeist getroffen. Solche Botschaften freuen uns, denn wir halten es für wichtig, dass Kinder lernen, zu ihrem eigenen Körper ein gutes Gefühl zu entwickeln und sich nicht zu schämen. Es ging uns darum, dass die Vulva oft tabuisiert und standardisiert gezeigt wird und wir im Gegensatz dazu einen offenen Fokus auf die Vielfalt setzen wollten. Wir haben ebenfalls das feministische Spiel PUSSY PAIRS herausgegeben, das zweifelsohne auch mit diesem Vorurteil, dass jede Vulva gleich wäre, aufräumen will. Dann ist im Herbst 2021 unser Buch Erbsenklein Melon­engroß erschienen. Es ist ein gendersensibles Aufklärungsbuch und dreht sich um Zeugung und Geburt. Wie kommt ein Baby in den Bauch? Welche Familienformen gibt es? Es gibt viele Möglichkeiten, wie ein Baby entsteht und geboren wird, die ‚traditionelle‘ Aufklärungsbücher nicht behandeln.
WEIBERDIWAN: An welche Altersgruppe wendet sich dieses Buch?
Teresa Mossbauer: Das Buch ist für Kinder ab ungefähr vier Jahren konzipiert. Es wird der gesamte Prozess bis zur Geburt verfolgt. Im Mittelpunkt steht ein Kind, das ein Geschwisterchen bekommt. Auch dieses Buch kam gut bei den Leser:innen an und zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Papa Storch von Paloma Schreiber ist im selben Jahr erschienen. Da geht es um homosexuelle Elternschaft und um ein Paar, das sich Nachwuchs wünscht. Die Geschichte dreht sich um zwei männliche Störche, die ein Ei ausbrüten und den daraus schlüpfenden Pinguin adoptieren. Für uns ist es ein wichtiges Thema, sich mit Abweichungen vom heteronormativen Ansatz zu beschäftigen. Es geht um Diversität und Vielfalt. Es soll nicht das Mainstream-Gesellschaftsbild wiederholt werden, sondern gezeigt werden, was es sonst noch alles gibt. Dennoch ist Queerfeminismus nicht unbedingt ein Dogma. Schön ist es, wenn es passt, aber es muss nicht sein. Wir machen auch andere Bücher wie Die wundersame Gasse von Andrea Krakora und Stefanie Pichler oder W o ist O hr? von Sara Zarian. Diese Werke sind nicht queer oder feministisch, haben uns aber trotzdem überzeugt. Gerade haben wir das Buch Bruno will hoch hinaus in den Druck gegeben – das wird jetzt so etwas wie das Pendant zu Lina, die Entdeckerin, da es um den Penis geht. Das Buch soll Kinder mit dem Körper vertraut machen, ihnen Wissen liefern und sie bestärken. Es geht aber auch darum, zu begreifen, dass man, wenn man einen Penis hat, nicht gleich der coolste Typ ist. Die Verhinderung von toxischer Männlichkeit und damit eine gendersensible Herangehensweise ist uns wichtig. Auch bei diesem Buch gibt es im Vorfeld eine große Nachfrage.
WEIBERDIWAN: Im Hinblick auf diesen genauen Blick auf die Geschlechterverhältnisse seid ihr da einzigartig, also ist das eine Nische in der Buchbranche?
Teresa Mossbauer: Ach nein, es gibt immer mehr Verlage, die auf Diversität Wert legen. Im Mainstream ist das noch nicht angekommen, aber wir sind sicher nicht die einzigen, die das berücksichtigen und in diese Richtung arbeiten. Es gibt nach wie vor mehrheitlich Kinderbücher, die klassische Geschlechterrollen bedienen, sodass weiterhin heteronormative Rollenbilder transportiert werden, dass der Papa in der Arbeit ist und die Mama die Hausarbeit macht. Diversität als Gegenbewegung ist jedoch im Kommen.
WEIBERDIWAN:Wie schafft man es, mit eher gendersensiblen Werken in die Buchhandlungen hineinzukommen oder benötigt man feministische Buchhandlungen wie das Chicklit?
Teresa Mossbauer: Es stimmt schon, dass unsere Kinderbücher besonders gut in diese Blase passen, wo es bereits ein Thema ist, aber mittlerweile sind auch größere Buchhandlungen an diesem erweiterten Blick interessiert. Auch Blogger:innen auf Instagram, die sich mit diesen Themen beschäftigen, geben Empfehlungen zu unseren Büchern ab. So kommen die Bücher nach und nach auch bei den traditionellen Buchhandlungen an. Trotzdem sind wir uns sicher, dass Buchläden wie Chicklit oder der Buchladen Eisenherz in Berlin eine ganz wichtige Vorreiter:innenrolle leisten.
WEIBERDIWAN: Wenn ihr jetzt nur noch Kinderbücher macht: Bedeutet das, dass so ein Buch wie das von Lisa Bolyos Mich hat nicht gewundert, dass sie auf Mädchen steht dann nicht mehr bei euch erscheint? Das Buch ist wirklich interessant.
Teresa Mossbauer: Ganz so konsequent müssen wir nicht sein. Wenn uns ein Buchprojekt vorgestellt wird, das sich nicht an Kinder richtet, uns aber gefällt und zu uns passt, dann machen wir das schon. Dadurch, dass wir so klein sind, haben wir hier auch einen gewissen Spielraum.
WEIBERDIWAN: Reden wir ein bisserl über eure Buchproduktionen. Jemand schickt euch elektronisch ein Manuskript?
Teresa Mossbauer: Grundsätzlich ja. Wir erhalten in sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien Anfragen von Autor:innen. Wenn die Leute sich nur mit einer ersten Idee an uns wenden und diese uns gefällt, entwickeln wir das Buch oft auch gemeinsam mit den Autor:innen. Das muss aber nicht unbedingt so sein. Es gibt auch Bücher in unserem Verlag, die so gut wie fertig waren. Gerne haben wir vorab ein Exposé, aus dem wir die Intentionen herauslesen können. Es muss eben zu uns passen. Wir freuen uns aber über jede gute Buchidee!