Heimatlos im Mutterland

Diese Geschichte berührt, und das, obwohl sie von Schimpfwörtern, rassistischen und sexistischen Stereotypen nur so strotzt. Wie das? Sie ist aus der Perpektive des portugiesischen Jugendlichen Rui geschrieben, der 1974/75 im Zuge der Entkolonialisierung aus Angola vertrieben wird. Gerade durch die rohe Sprache wird dessen Realität schonungslos abgebildet. Als „Rückkehrer“ ist Rui in Portugal mit Vorurteilen konfrontiert, was aber seinem eigenen Rassismus gegenüber den ehemals Kolonisierten keinen Abbruch tut. Gemeinsam mit Mutter und Schwester ist er in einem kleinen Hotelzimmer in Lissabon untergebracht und verbringt seine Tage mit Kiffen, Schuleschwänzen und dem Träumen von Mädchen. Dazwischen hat er Angst: Dass sein Vater in Angola umgebracht wurde, dass seine psychisch labile Mutter deshalb wahnsinnig wird und dass er in Folge dessen allein für seine Familie aufkommen muss. Im Original schon 2001 erschienen, verarbeitet der Roman ein Stück wenig bekannter europäisch/afrikanischer Geschichte. Im Zuge der „Nelkenrevolution“ in Portugal und der Unabhängigkeitsbestrebung Angolas wurden die Kolonialisten und ihre Familien vertrieben, ihre Häuser und Besitztümer beschlagnahmt. Im „Mutterland“ Portugal wurden sie, u.a. aufgrund der wirtschaftlich katastrophalen Lage, nur wenig begeistert aufgenommen. Die rasante Sprache dieses Texts gewährt der Leserin tiefe Einblicke in das emotionale Erleben eines von dieser historisch komplexen Situation betroffenen Heranwachsenden. Beeindruckend und lehrreich.

ReSt

Dulce Maria Cardoso: Die Rückkehr. Aus dem Port. von Steven Uhly. 251 Seiten, Secession, Zürich 2021. EUR 24,60