Immer zu spät
„Ich konnte rennen, wie ich wollte, ich kam zu spät.“ Die Ich-Erzählerin treibt durch die Zeit und kommt doch nie an. Zu Beginn arbeitet sie an ihrem Uniabschluss, die Arbeit wird sie in letzter Minute fertig bekommen – unter größter Kraftanstrengung, der „pulsierenden Gleichzeitigkeit von Konzentration und Erschöpfung”. Nach dem Studium „verschwendet” sie ihre Zeit mit Praktika und prekären Jobs, mit Bewerbungen und Absagen, mit Zweifeln und Ängsten. Sie findet einen Partner, mit dem es so gut läuft, dass sich bald der Wunsch nach einem Kind entwickelt. Während sich noch immer kein anständig bezahlter, erfüllender Job eingestellt hat, wird der Kinderwunsch größer. „Ich beschloss, die geplante Reihenfolge zu ändern und sehenden Auges in die Frauenfalle zu rennen, um mit der Wahllosigkeit der Verzweiflung, unter dem Druck der nahenden Geburt an irgendeinen Job, zu irgendeiner Entscheidung zu kommen.“ Almut Tina Schmidt zeichnet in ihrem Buch ein realistisches Bild einer Generation, deren Symptom das „alles umspannende Gefühl, zwischen viel zu vielen Möglichkeiten auf der Stelle zu treten“ sei. Nicht wenige Leserinnen werden sich in diesem Bild wiederfinden. Das Thema Zeit wird nicht nur thematisch in vielen Facetten aufgearbeitet, die Autorin hat es auch methodisch brillant umgesetzt: Der Roman ist atemlos geschrieben, mit vielen Einschubsätzen, als wäre nicht genug Platz und Zeit, alles zu erzählen, was zur Geschichte gehört – sei es Gegenwärtiges oder Zukünftiges. Zeitverschiebung findet in der Erzählweise genauso statt, wie im Leben der Protagonistin. Mit dem Nachwuchs ändert sich das Zeitempfinden. „Wir hetzen uns ab, um dem Kind seine Zeit zu lassen.“ Nach der Babypause steht die Erzählerin jedoch irgendwie wieder am Anfang. Anstelle von Jobs werden ihr Praktika und Fortbildungen angeboten, „doch ich fühle mich nicht wieder jung, bloß wie eine Anfängerin“. Zumindest das Gefühl der Zeitverschwendung stellt sich im kräfteraubenden „Kleinfamilienbetrieb“ nicht mehr ein. GaH
Almut Tina Schmidt: Zeitverschiebung. 189 Seiten, Droschl, Graz/Wien 2016 EUR 19,90