Nilpferd auf der Autobahn

Wütend rechnet die Autorin Tamar Tandaschwili in ihrem zweiten Roman mit Patriarchat, Frömmigkeit, Doppelmoral und Korruption im heutigen Georgien ab. Den Rahmen der Erzählung bietet der Austausch zweier Traumatherapeutinnen über ihre Berufserfahrungen. In schnellem Tempo reihen sich blitzlichtartig ins Surreale übergehende Geschichten über Tabubrüche, Selbstmord und Misshandlungen aneinander. Patriarchale Gewalt, die sich gegen alles richtet, was nicht der Norm entspricht, sei es ein lesbisches Pärchen, das es dank eines reichen Vaters schafft, seine Liebe zu leben, Aktivist*innen der Demokratiebewegung oder ein homosexueller junger Mann: mit den Worten der Autorin gegen die “Subkultur der Mittelklasse”. Selbst für Hunde mit drei Beinen ist Georgien nicht sicher. Mit der georgisch- orthodoxen Kirche geht die Übersetzerin der „Liebhaberinnen“ von Elfriede Jelinek besonders hart in Gericht. Als Zufluchtsort „lokaler Krimineller, die es nicht geschafft haben, nach Russland zu entkommen” tritt sie jetzt an, um nationalistische und reaktionäre Politiken durchzusetzen. Ein rasantes anklagendes Feuerwerk. Leseempfehlung.
Sena Dogan
Tamar Tandaschwili: Löwenzahnwirbel­sturm in Orange. Aus dem Georg. von Natia Mikeladse-Bachsoliani. 136 Seiten, Residenz Verlag, Salzburg/Wien 2018 EUR 18,00