Solange es Leselupen gibt

Das Buch ist so klein, dass ich Angst hatte, es zu verlieren, ehe die Rezension fertig war; sechs kurze Geschichten der großen Schriftstellerin Djuna Barnes (1899–1982) im Vademecum-Format mit pfützenfarbenem Retromuster. „Solange es Frauen gibt, wie sollte da etwas vor die Hunde gehen?“, hieß einst ein Band desselben Verlags mit Texten der Autorin. Als Wiederabdruck daraus gibt es das pointierte Porträt von Coco Chanel mit deren unvergessener Sentenz: „Mich persönlich amüsiert nach Mitternacht überhaupt nichts mehr!“
Djuna Barnes schrieb maniriert und unvergleichlich und oft mit einer Wendung ins Absurde. In der Miniatur „Französische Etikette für Ausländer“ etwa versichert die Pariskennerin, es gebe für Fremde hier nur zwei Wege ins Eigenheim Einheimischer, „einen über den Altar, einen übers Fenster.“ Eine andere Story straft den Baron Anzengruber und seine betörende Tänzerin zwar mit einer albernen Pointe, aber Barnes‘ Wien-Imaginationen sind immer abgründig, auch hier, „Hinter dem Herzen“, in einer Passage, in der die Dame lügt: „Dann werden wir zusammen nach Wien reisen und in einer offenen Kutsche durch die Stadt fahren, und ich werde deine Hand halten und wir werden sehr glücklich sein.“ Und wie war das mit dem jüdischen russischen blutjungen Schwesternpaar, das durch Europa zog, die eine ein wenig zaudernder als die andere? „Sie streute sich den Zucker aus zu großer Höhe in den Tee, und sie sprach sehr schnell. So war das mit meiner Schwester Moydia in jenem Herbst.“ Ich möchte es so charakterisieren: ein beiläufiges Mitbringsel für Ladys an einem Nachmittag, der mit Absinth beginnt.

Hanna Hacker

Djuna Barnes: Stolze Frauen mit Vorurteil. Aus dem Engl. von Karin Kersten, Inge von Weidenbaum und Kyra Stromberg. 76 Seiten, Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2019, EUR 9,30