Steiermark in den 70ern

Während Gwendolyn Leick in ihrem vorangegangenen Prosaband  Franckstraße 31 von ihrer Jugend im bürgerlichen Haushalt in Graz erzählte, wechselt der neue, ebenso faszinierende Band den Schauplatz von der städtischen Umgebung ins ländliche Milieu. Nach einer Erbschaft beschließt die Erzählerin als junge Studentin in den 70er Jahren, ein baufälliges Bauernhaus im steirischen Riedelland zu erwerben, um sich darin zusammen mit ihrem Verlobten und einem gemeinsamen Freund den Traum von gemeinschaftlichem Wohnen, künstlerischem Arbeiten und alternativen Gartenexperimenten zu erfüllen. Letztere führen zwar zu einem längeren Gefängnisaufenthalt des Trios, da die Exekutive den Anbau von Haschisch nicht zu schätzen weiß, lässt aber auch eine besondere Freundschaft zwischen der ‚Zugezogenen’ und ihrem Nachbarn, dem Simmerlbauern, entstehen. Mit wohlwollendem und durchaus (selbst-)kritischem Blick erinnert sich die Autorin an ihre Erlebnisse, beschreibt systematisch und detailliert die das ländliche Leben bestimmenden geografischen und meteorologischen Begebenheiten, analysiert Archivbestände wie Geburts-, Ehe-, und Sterbebücher und gewährt dadurch Einblicke in vergangene gesellschaftliche Verhältnisse der Region. Besonders interessant liest sich die Geschichte der Hebammen, meist unverheiratete Frauen, die sich durch ihr Wissen einen Status abseits von Ehe und Mutterschaft erarbeiten konnten. Gwendolyn Leick liefert wieder einmal bestens informierte Prosa in wunderbar klarer Sprache – bitte mehr davon!

ReSt

Gwendolyn Leick: In der Eselgrube. 130 Seiten. Edition Korrespondenzen, Wien 2022. EUR 20,00