Vom Brechen des Gewalttabus
Die Philosophin Luisa Muraro, bekannt durch „Die symbolische Ordnung der Mutter“ (Neuauflage 2006), lehrte an der Universität Verona und gründete gemeinsam mit anderen Frauen den Mailänder Frauenbuchladen und die Philosophinnengruppe Diotima. Daraus entstanden aufregende Publikationen wie u.a.: „Wie weibliche Freiheit entsteht“ oder „Macht und Politik sind nicht dasselbe“. In der angloamerikanisch dominierten feministischen Rezeption werden die italienischen Kritikerinnen der Gleichheit weitgehend ignoriert. Doch den SkeptikerInnen und allen an politischer Theorie und (selbst-)kritischer Praxis Interessierten sei der vorliegende Essay mehr als empfohlen. Der Text ist, wiewohl nicht abgehoben verfasst, eine mentale Herausforderung. Unser politisches System, seine Entstehung und seine Destruktivität werden radikal befragt. Der Gesellschaftsvertrag gründete sich ohne Frauen, die Fortschrittsideologie, die „Gott“ abgelöst hat, entwertet Gemeinwohl und legitimiert „gerechte Kriege“. Wo Recht und Gesetz nur noch den Selbstzweck der Macht generieren, müssen wir unsere Verfügbarkeit für den Staat aufkündigen und uns auf eigene Kräfte besinnen. Es geht nicht um Selbstermächtigung, das läge in der Logik des bestehenden Systems, sondern um unsere je unterschiedliche Stärke, die den Grenzgang zur Gewalt nicht ausschließt. Keine virile Gewalt, sondern Kämpfe ohne Hass, Auflösung des Manifesten ohne Zerstörung. Birge Krondorfer
Luisa Muraro: Stärke und Gewalt. Aus dem Italienischen von Angelika Dickmann und Gisela Jürgens unter Mitarbeit von Traude Sattler. 81 Seiten, Christel Göttert, Rüsselsheim 2014 EUR 7,80