Youie statt Selfie

„Ich fühle einfach nicht so viel für dich. Können wir Freund_innen bleiben?“ Wer kennt diesen Satz nicht. Rechtzeitig zur Selbstisolation erschien im März die neue Graphic Novel „Ich fühl’s nicht“ von Liv Strömquist. Es ist ihre vierte Veröffentlichung, die sich in eine Graphic Novel Serie zu Liebe, Geschlechter und Gefühle einreiht. Dieses Mal geht es ums Verlieben. Und das so richtig. Ausgangspunkt ist Leonardo DiCaprio, dessen Bindungen mit verschiedenen Supermodels nicht über gemeinsames Radfahren hinausreichen. „Wo sind die starken Gefühle in unserer Welt hin?“ fragt Strömquist in diesem Band. Sie arbeitet sich von Platon bis Beyoncé ab und setzt sie in gewohnt schlichten, schwarz-weißen Illustrationen in Szene. Laut Strömquist sind Kapitalismus, Selbstoptimierung und die sich ändernden Geschlechterrollen Schuld. Ihre pointierte Kritik und bekannt spitze Unterzeichung bringen zum Lachen, eins fühlt sich ertappt: „Man macht lieber ein sexy Selfie als ein sexy Bild von jemand anderem.“ Doch gewinnt Strömquist nicht immer unsere Herzen mit ihrer Überromantisierung von (misogynen) Sagen und Liebesgeschichten der Vergangenheit. Wie ein Verliebtsein ohne Gewalt und emotionale Distanziertheit aussehen kann, bleibt ein leeres Blatt. Aber wer weiß, vielleicht schreiben wir nach COVID-19 dem Tinderdate schon nach dem zweiten Treffen: „Willst du mit mir gehen?“. Fad genug wärs schon.

Marlene Brüggemann

Liv Strömquist: Ich fühl‘s nicht. Aus dem Schwed. von Katharina Erben. 176 Seiten, Avant Verlag, Berlin 2020, EUR 20,00