144 Jahre in 65 Spielminuten auf der österreichischen Kabarettbühne
„Acht ORF-Sendungen sind diesmal für den Publikumspreis nominiert– votet jetzt für euren Comedy-Liebling unter https://kabarettpreis.at/…“, so liest sich im Oktober 2020 der jüngste Aufruf in den Sozialen Medien. Seit 1999 zeichnet der österreichische Kabarettpreis jedes Jahr in 5 Kategorien KabarettistInnen und SatirikerInnen aus. Am 16. November, im Globe Wien, wird der Preis für dieses Jahr wieder offiziell überreicht. Laut der besagten Website gehören zu den Preisträgern unter anderem Niavarani, Deix, Schneyder, Vitasek, Jaus und Maurer. – Keine Frage, gute Kabarettisten, aber wo sind hier die Frauen?
Im Jahr 2000 wurde Andrea Händler als bisher einzige Frau mit dem Hauptpreis ausgezeichnet, und auch sonst sind die Frauen bei den Kabarett-Preisträger*innen an einer Hand abzuzählen, von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis noch weit entfernt. – Kabarett zeichnet sich durch gute Sprachkunst, Poetry-Slam, Provokation, Kritik und satirische Analysen, die poetisch wie auch deftig ausfallen können, aus. Kabarettist*innen halten mit sprachlichen Bildern auf der Bühne dem Publikum den Spiegel vor. Kabarett ist politisch, Comedy nicht unbedingt. Es gibt viele gute Kabarettistinnen, das beweisen nicht nur die sechzig Frauen im neu erschienenen Buch „Frauen sind komisch“: Lachen ist auch Frauensache! (S.19). Aber erst seit dem Zeitalter der Digitalisierung sind Kabarettistinnen medial sichtbarer, den Männern jedoch noch nicht gleichgestellt. Für den WeiberDiwan hat Veronika Reininger mit den beiden Schauspielerinnen Barbara Klein und Krista Schweiggl über Kabarettistinnen und über ihr neues Kabarettstück Die SpätSies – VollZeit gesprochen.
Digitale Bildaufzeichnungen waren früher, in den Achtziger Jahren, nur in Ausnahmesituationen bei einzelnen männlichen Kabarettisten möglich, im Jahr 2020 sind noch immer zu wenig Frauen auf der Kleinkunstbühne präsent. „Wir sind das erste feministische Kabarett-Duo in Österreich…“, sagt Barbara Klein, die Gründerin und ehemalige erste Intendantin des Kosmos Theaters. Bereits in den Jahren 1984 bis 1989 führten die beiden Schauspielerinnen Klein und Schweiggl ihr erstes Kabarettprogramm Chin & Chilla in Österreich und Deutschland auf. An die weiblichen Kabarettistinnen, die damals fern ab der digitalisierten Welt Kunst gemacht hatten, erinnert sich heute kaum wer. „Die Einführung in den Bereich der sozialen Medien kam zu spät oder wir waren beide dafür zu früh auf der Welt“, sagt Schweiggl. Mehr als 30 Jahre später kehren die beiden SpätSies-Feministinnen, wie sie sich nennen, mit ihrem neuen Kabarettstück auf die Kleinkunstbühne zurück. Am 11. Jänner 2021 starten sie, zusammen im Alter von 144 Jahren immer noch gut aussehend und humorvoll, mit der Premiere und sind in Wien und Baden zu sehen. „Wenn es schon Kleinkunst heißt, muss ich ja dort auftreten“, sagt Klein. Aber auch für Schweiggl sei es selbstverständlich, wieder mit ihrer Kunst aufzutreten, wie sie betont. Der Name SpätSies symbolisiert sowohl die Freundinnen – auf wienerisch übersetzt – wie auch die späten Sies im fortgeschrittenen Alter. Als SpätSies-Feministinnen haben Klein und Schweiggl Voll-Zeit viel zu tun, proben aber stets in Ruhe. Schweiggl ist Autorin des Essays, der auf Geschichten und Begegnungen aus ihrem Leben basiert. Besonders absurde Szenen, wie zum Beispiel den mühsamen Weg einer müden alten Frau zum Amt, um ihren Führerschein zurückzuholen, hat die Autorin zu einem Kabarettstück verarbeitet. Infolge hat Klein das Stück dramaturgisch gestaltet. Während Schweiggl selbst durchgehend die ewige Alte auf der Kabarettbühne spielt, nimmt Klein den Gegenpart ein und stellt das pralle Leben in wechselnden Personen dar. Dabei sind in dem 65 Minuten langen Stück auch eingeplante spontane Texthänger vorprogrammiert – schließlich sind erste Zeichen einer beginnenden Demenz im fortgeschrittenen Alter möglich.
Im Frühjahr dieses Jahres haben die beiden Frauen in vier arbeitsintensiven Monaten des Zusammenlebens im Marchfeld den ersten Lockdown der Corona-Zeit kreativ gut genutzt: Sie haben ihre Texte geprobt, improvisiert und das Kabarettstück, das mit nur zwei Stühlen als Requisiten auskommt, durchgespielt. Nachdem sie bereits in ihrem ersten Kabarett Chin & Chilla mit dem Pianisten Christian Teuscher gut zusammengearbeitet hatten, begleitet dieser sie wieder musikalisch beim neuen Kabarettstück VollZeit, teilweise mit einer Karaoke-Version zum Mitsingen. Nur der Zeitaufwand für die beiden Kabarettistinnen sei im Alter größer als gedacht, weil alles viel länger dauert als früher – zum Beispiel sich die Texte zu merken. Es sei aber ein gutes Training für das Gedächtnis, sagen die beiden, die aufgrund ihrer Professionalität im Schauspiel so manche Schwierigkeiten bestens meistern können. Zwischendurch erholen sie sich im Garten, beim Schwimmteich oder beim Laufen in der Natur. „Schon alleine diese Texte zu lernen, um einfach sich ein Ziel zu setzen, darauf los zu arbeiten und Texte einzustudieren, hilft, um im Alter das Gedächtnis gut zu trainieren“, sagt Klein. Aber auch beim gemeinsamen Kochen in dieser Zeit hätten sie sich infolge die Kochrezepte gut merken können, was ebenfalls das Gedächtnis fit halte, sagt Schweiggl.
Das neue Kabarettprogramm ist keine Comedy auf der Bühnenrampe, wo Witze erzählt werden, damit das Publikum sich schenkelklopfend unterhält. Die beiden SpätSies-Feministinnen bieten dem Publikum mit ihrem Kabarettstück etwas zum Lachen, das humorvoll zum Nachdenken anregen soll. Sie thematisieren mit Tiefgang und leichter Betroffenheit Tatsachen, Vor- und Nachteile eines Frauenlebens im Alter. „Wir sind politische Botschafterinnen, die mit einem gewissen Alter umgehen können, was schon eine feministische Botschaft ist“, sagt Schweiggl, auch wenn es nicht mehr so viele gibt, die in ihrem Alter noch auf der Bühne stehen. Das feministische Kabarett-Duo geht von einem selbständig denkenden Publikum aus, daher gibt es für sie im Kabarettstück auch keine klassische politische Botschaft. Alle, Frauen und Männer, sind angesprochen und können Spaß daran haben. Ein gutes Kabarettstück jedoch sollte nicht erklärt und auch nicht in den digitalen Medien durch Ausschnitte missverständlich interpretiert werden. So bedauerten Klein und Schweiggl es, als die 28 Jahre junge österreichische Kabarettistin Lisa Eckert trotz ihres Talents von VeranstalterInnen aufgrund von Missinterpretationen wieder ausgeladen wurde. – Welchen feministischen Stellenwert das neue Kabarettstück Die SpätSies – VollZeit in einer patriarchalen Gesellschaft letztendlich hat, muss das Publikum selbst bewerten. Jedenfalls ist es an der Zeit, den österreichischen Kabarettpreis an mehr feministische Kabarettistinnen zu verleihen und diese medial sichtbarer und bekannter zu machen.
Veronika Reininger