Von der Kunst in Zeiten der Repression

Die Schriftstellerin Nina Sergejewna schildert aus der Ich-Perspektive ihren Aufenthalt in einem sowjetischen Sanatorium für KünstlerInnen im Winter 1949. Der Erholungsaufenthalt wird durch ihre Begegnung mit dem Schriftsteller Bilibin immer mehr zu einer Konfrontation mit jenem Ereignis, das ihr Leben und das ihrer Tochter überschattet: die Jahre zurückliegende Verhaftung ihres Ehemannes Aljoscha und seine Verbringung an einen unbekannten Ort, die sie ohne Nachricht über sein weiteres Schicksal zurückgelassen haben. Im Lichte der Erzählungen Bilibins von seinen eigenen Erfahrungen mit dem stalinistischen Terrorsystem weichen Nina Sergejewnas vage Vorstellungen, die sie heimsuchenden Träume und ein nicht aufgegebener Rest an Hoffnung allmählich der Gewissheit einer grausamen Realität. Aus geteiltem Leid und geistiger Verbundenheit keimt zwischen Nina und Bilibin zarte Sympathie auf.
Das Sanatorium mit seinen BewohnerInnen, wie dem jüdischen Dichter Weksler, dem angepassten Journalisten Sergej Dmitrijewitsch oder dem linientreuen Literaturkritiker Klokow, ist aber nur die Kulisse, vor der eine Auseinandersetzung mit Fragen nach der Freiheit des künstlerischen Wirkens, nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Verdrängen und vorauseilendem Gehorsam, Nonkonformismus oder Angepasstheit von Kunstschaffenden und damit der Kunst in einem zutiefst repressiven totalitaristischen System ausgetragen wird. Helga Lackner
Lydia Tschukowskaja: Untertauchen. Roman. Aus dem Russischen von Swetlana Geier. 256 Seiten, Dörlemann Verlag, Zürich 2015 EUR 19,50