Fehlende Abwehrspannung
Die Autorin Mely Kiyak beschreibt in ihrem autobiografischen Roman die Beziehung zu ihrem Vater, nachdem dieser an Lungenkrebs erkrankt ist und in Berlin in ein Spital eingeliefert wird. Sie ist verärgert über manch irritierende Behandlungsform im Krankenhaus, weil sie sich eine freundlichere Umgebung für ihren Vater wünscht. Auch ihre eigene Einfalt macht ihr zu schaffen. Mit Witz erzählt sie die originellen Geschichten ihres kurdischen Vaters aus Bingöl nach und von den anstrengenden Jahren, die ihr Vater in der Nachtschicht für die Raumfahrtindustrie verbracht hat, um für diese haarfeine Kupferdrähte zu lackieren, sie auf litfasssäulengroße Spulen zu wickeln und dabei die giftigen Dämpfe in die Lunge einzuatmen. Zweifelsohne sind Teile des Inhalts des Romans auch eine Anklageschrift, dass die sogenannten Gastarbeiter:innen in der Aufnahmegesellschaft in Deutschland nicht ausreichend gewürdigt wurden und werden. Sie kritisiert, dass nicht die Arbeitsbedingungen für entstehende Krankheiten gesehen werden, sondern nur der Mensch selbst verantwortlich gemacht wird. Trotz des mitunter bedenklichen Verlaufs, wie sich der Lungenkrebs beim Vater weiterentwickelt, ist der Roman von Zuversicht getragen. Menschlich werden die unterschiedlichen ambivalenten Stimmungen von Wut über Zuneigung und Abwendung widergespiegelt, so dass eine wunderschöne Liebeserklärung an das Leben entstanden ist.
ML
Mely Kiyak: Herr Kiyak dachte, jetzt fängt der schöne Teil des Lebens an. 222 Seiten, Hanser, München 2024 EUR 23,70