Worte, die nicht mehr gesagt werden können
Ada D’Adamo ist beeinträchtigt von den Symptomen ihrer rasch fortschreitenden Krebserkrankung und geschwächt von den erbarmungslosen Nebenwirkungen der Krebstherapie. Sie schreibt an ihre mittlerweile 14-jährige Tochter Daria. Diese ist mit einer Agenesie des Corpus Callosum auf die Welt gekommen: Es fehlt ihr der Balken, der die Gehirnhälften trennt und verbindet zugleich. Sie kann nicht reden, kaum sehen, nicht essen, sitzt im Rollstuhl und kann sich fast nicht bewegen. Mutter und Tochter sind durch diese schwere Behinderung gleichsam eins geworden. Ada D’Adamo beschreibt, wie sie sich zwangsläufig zur ‚körperlichen Stellvertretung’ ihrer schwerstbehinderten Tochter entwickelt hat. Als Tänzerin und Dramaturgin erlebt sie das besonders intensiv. Die natürliche Symbiose – notwendige Grundlage des Verständnisses zwischen Mutter und Tochter – wird durch die Krankheit der Mutter unmöglich. Das Aufschreiben ihrer beider Geschichte(n) soll diese Nähe auf einer anderen Ebene wiederherstellen. D’Adamo beschreibt die überraschende Diagnose nach der Geburt, ihren Schock und das notwendige Umgehen damit. Sie thematisiert ihre Gefühle, die Reaktionen der Umwelt, der Freundinnen, ihres Mannes, der wieder zurückkehrt. Sie schildert die Welt der Krankenhäuser und Therapieeinrichtungen, zitiert Äußerungen des Fachpersonals und medizinischen Fachbegriffe, beschreibt technische Hilfsmittel – das Außen des intimen Lebens mit einer Tochter, die zusehends Frau wird – geistig auf der Stufe eines Kleinkinds. Im Text, der immer wieder in der Du-Form die Tochter direkt anspricht, verarbeitet sie ihr Entsetzen und ihre Angst, ihre Tochter alleine zurücklassen zu müssen. Und sie erklärt Daria ihre Liebe – in Worten, die diese (verbal) nie verstehen wird. Ein Vermächtnis.
SaZ
Ada D’Adamo: Brief an mein Kind. 192 Seiten,Eisele, München 2024 EUR 23,50