Antigone revisited
Von der Antike bis zur Gegenwart ist der thebanische Mythos von Antigone, die Widerstand und zivilen Ungehorsam gegen das Gesetz („Staatsräson“) eines Tyrannen leistet, mannigfaltig übersetzt, interpretiert, um- und neu gedeutet worden. Die Version von Anne Carsen, Dichterin, Essayistin, Übersetzerin und klassische Philologin transformiert den Originaltext von Sophokles in einen modernen, minimalisierten und teilweise ironischen Text voll der Referenzen der Interpretationen. Als „Übersetzerin“(des Textes wie wohl auch der Figur) schreibt sie im Vorspann einen Brief an Antigone, wo es um solche Interpretationen (Brecht, Anouilh, Butler, Zizek,…) geht. „Hegel sagt ich sei im Unrecht, ich habe kein sittliches Bewusstsein“, sagt Antigone dann im Stück selbst. Ihre Schwester Ismene widerspricht. (Hegel sah sowohl bei ihr als auch Kreon schuldhafte „Einseitigkeit“). Carsens Reinterpretation der Interpretationen knüpft sich an folgenden Briefanfang: „Im Griechischen bedeutet dein Name so viel wie ‚gegen die Geburt‘ oder ‚anstelle des Geborenseins‘. Was gibt es anstelle des Geborenseins?“ – „eine zutiefst andere Ordnung“? Autonomie? Martyrertum? Selbstmord? (da sie es vorzieht bei dem toten Bruder zu liegen) „Deine Absicht ist es, dich mit allerkleinsten Nadelstichen in das Leichentuch hineinzunähen“, so Carsen. „Ich sehe es als Aufgabe der Übersetzerin an nicht zu erlauben, dass du jemals deine Schreie verlieren wirst.“ Empfehlenswert!
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Anne Carsen: An Antigone (Sophokles). Aus dem Engl. von Marcus Coelen. 60 Seiten, Turia und Kant 2025 EUR 14,00