Kompromisslose Zärtlichkeit
Wer die Werke des ungarischen Schriftstellers Péter Esterházy mag, wird dieses Buch lieben: Dora Kaprálová komponiert ihr Winterbuch der Liebe in der Art von Esterházys Roman Eine Frau. Darin entwirft der 2016 leider viel zu früh verstorbene Autor „voll heidnischer Heiterkeit“ knapp hundert Frauenfiguren aus unterschiedlicher Perspektive. Dora Kaprálová spinnt die Geschichte mit verschiedenen Männerfiguren weiter. Einen Winter lang verfasste sie jeden Tag einen kurzen Text über einen Mann oder ein männliches Objekt. Was ihr gelingt, geht aber weit über eine literarische Stilübung hinaus. Sie umkreist das Thema Männlichkeit mit virtuoser Leichtigkeit und lotet dabei sämtliche vorstellbaren Tiefen und Untiefen auf mitunter groteske Art und Weise aus. Káprálovás Männer sind ungeschickt, faul, liebenswert oder auch gemein und brutal. Einmal schreibt sie „Es gibt einen Mann. Ich liebe ihn. Ich stehe am Rednerpult im Krematorium, inmitten der Trauergäste suche ich ihn. Er liebt mich verscheuchend, wie eine Fliege“. Dann wieder geht es um einen Bund, den die Ich-Erzählerin liebt „Er heißt Gender. Er hasst mich. Behauptet, ich könne nicht, ich könne einfach nicht im rosa Negligé und mit rotem Bärtchen schreiben“. Mit ihren leichtfüßigen Miniaturen erschafft Kaprálova ein schillerndes und amüsantes, aber auch tiefgründiges Kaleidoskop von Möglichkeiten und Identitäten. Aber vor allem ist ihr Buch die Begegnung zweier großer Schreibender auf Augenhöhe.
Ute Fuith
Dora Kaprálová: Das Winterbuch der Liebe. Aus dem Tschech. von Nataša von Kopp. 120 Seiten, Mikrotext Verlag, Berlin, 2024 EUR 20,00