Der ländlichen Enge entwachsen

Lore wächst in den 1990er Jahren auf dem Land auf. Nur ihre Brüder dürfen dem Großvater helfen, der die Großmutter mit Schweigen bestraft, wenn der Tisch nicht richtig gedeckt ist oder wenn er das Chaos sieht, wenn Lore mit der Großmutter Höhlen unter dem Esstisch baut. Auch alle Geschichten vom Krieg des Großvaters, die Lore immer wieder hören will, enden mit einem schweigenden Gedankenstrich. Lores Onkel lacht zu laut mit seinem neugeborenen jungen Mann auf dem Arm, während Lore aus seinem Mund eine kleine Maus ist. Die Lehrerin versteht nicht, als Lore sagt, dass sie gerne Rauchfangkehrerin werden möchte, zu schmutzig, aber auch die sauberen Frauen, die beim Vater, dem Bürgermeister, angestellt sind, organisieren nur eigentlich das Rathaus, wie der Vater sagt. Und Lore wundert sich über diese unsichtbare Wand zwischen ihr und den Männern. Ein Roman über das Erwachsenwerden einer Frau in konservativen ländlichen Strukturen. Mit großer Behutsamkeit beobachtet man durch die Augen der jungen Lore ihr Staunen über eine Schieflage, die Enge der Strukturen und ihre ersten Berührungen mit der anderen Welt ihrer Tante, die in die Stadt gezogen ist und durch die sie dem für sie gedachten Leben entflieht. Mit kurzen, einfachen Sätzen entwirft Eva Lugbauer ein ganz normales Leben, und gerade das macht den Roman so berührend.
Agnes Sieben
Eva Lugbauer: Schwimmen im Glas. 244 Seiten, Picus Verlag, Wien 2025 EUR 25,00