Schmerz in Worte fassen

In Unversehrt legt Eva Biringer ein Plädoyer vor, weiblichen Schmerz endlich ernst zu nehmen. Ausgangspunkt ist die Geschichte ihrer Großmutter, deren chronische Schmerzen unbeachtet und ungehört blieben. Biringer fragt: Was macht Schmerz mit Frauen, wenn man ihnen nicht glaubt? Und was bedeutet es, einer solchen Erfahrung endlich eine Stimme zu geben? Zentral ist die Erkenntnis: Es hat System, dass Frauen Schmerz abgesprochen wird. Der sogenannte „Gender Pain Gap“ zeigt, wie weiblicher Schmerz abgewertet und ihm häufig mit Beruhigung statt mit Behandlung begegnet wird. Männerkörper gelten als medizinische Norm – weibliches Leiden wird dagegen oft als übertrieben, psychisch oder gar ‚hysterisch’ abgetan. Biringer verknüpft persönliche Erfahrung mit Kulturwissenschaft und medizinischer Recherche – klug, zugänglich, eindringlich. Dabei spart sie nicht aus, dass Schmerz Frauen nicht nur genommen, sondern auch zugefügt wird: durch patriarchale Gewalt, strukturelle Missachtung – und durch die Fetischisierung weiblichen Leidens. Der weibliche Körper wird zur Projektionsfläche – leidend, passiv, ästhetisiert. Unversehrt ist nicht nur Analyse, sondern auch Aufruf: „Reclaim the Pain“ – Frauen sollen ihren Schmerz zeigen, teilen, politisieren. Trotz der Wut, die das Buch weckt, bleibt es empathisch, verbindend und zugänglich. Die Geschichte der Großmutter wird zum kollektiven Spiegel – denn viele kennen solche Geschichten. Ein feministisches, mutiges und notwendiges Buch. Absolute Leseempfehlung!
LMS
Eva Biringer: Unversehrt. Frauen und Schmerz. 256 Seiten, Harper Collins, Hamburg 2024 EUR 21,50