Wenn Bilder zu tanzen beginnen

Weniger ist mehr. Sympathisch schlicht gestaltet ist der jüngste Bildband von Jessica Backhaus. Ohne viele Worte oder Tamtam. Einzig die Größe (XXL) ist auffällig. Aber die braucht es auch, damit die Arbeiten ihre Wirkung entfalten können. Es sind Collagen, abstrakt arrangierte Farbflächen, geometrische Formen: rund und eckig, spitz und weich. Landschaften, Räume, visualisierte Empfindungen. Werke von Joan Miró, Hilma af Klint, Paul Klee kommen sofort in den Sinn. Die sinnlichen Farbabstufungen erinnern an Mark Rothko und Yves Klein. Und gleichzeitig: Die Bilder von Künstlerin Backhaus haben etwas ganz Eigenes. Beim längeren Hinschauen, Hineinversenken werden die Formen immer perspektivischer, dreidimensionaler – und irgendwie bewegt. Und es fällt auch das Korn auf. Denn es handelt sich nicht um Malereien, sondern um analoge Fotografien. Hochspannend ist auch der Entwicklungsweg der Künstlerin: Backhaus, 1970 in Cuxhaven geboren, studiert visuelle Kommunikation – fokussiert auf sozial-dokumentarische Fotografie – in Paris. Hier trifft sie 1992 auf Gisèle Freund. Ein Glücksfall. Freund (1908 – 2000), Berliner Fotografin mit jüdischen Wurzeln, flüchtete vor dem NS-Regime nach Paris und wurde weltbekannt durch ihre einfühlsamen Portraits etwa von Frida Kahlo, Simone de Beauvoir und den Surrealisten Marcel Duchamp und Jean Cocteau. Freund wird Freundin und Mentorin der jungen Backhaus, die es noch nach New York zieht. Backhaus entdeckt die Glamourwelt, assistiert dem (Mode-)Fotografen David LaChapelle – auf großen Sets mit vielen Menschen. Dabei wird ihr klar, dass sie lieber still und allein, aus sich selbst heraus, arbeiten möchte. Jessica Backhaus bleibt sich und der analogen Arbeitsweise treu, experimentiert mit dünnem, farbigem Transparentpapier im Sonnenlicht. Durch die Wärme kommt es zu Papierreaktionen, zu Farbspielen, Bewegungen, Licht und Schatten. Damit gelingt es ihr intuitiv, mit ganz eigener Bildsprache Unaussprechliches sichtbar zu machen – und Betrachtende zum Dialog einzuladen.
Nina Kreuzinger
Jessica Backhaus: Plein Soleil. 96 Seiten, Kehrer Verlag, Heidelberg 2024 EUR 48,00