Zwischen Himmel und Kolonialgeschichte

Die Forschungen zum Flugverhalten von Mauerseglern erweisen sich als vieldimensional: Die Autorin hilft nicht nur selbst mit, die zurückgekehrten Vögel zu beringen, sie vollzieht auch die Flugrouten nach, geografisch und historisch. Dass dabei wesentliche Kolonialismusthemen auftauchen, gehört zum Hintergrund der Autorin, die auch als Integrationsberaterin arbeitet. In dieser Studie startet sie mit der außergewöhnlichen Ausdauer und Orientierungsfähigkeit der Vögel. Mit menschlich unvorstellbarer Präzision finden sie ihre Nester vom vorigen Jahr, wechseln ihren Aufenthalt zwischen Europa und Afrika, wobei die Luft ihr Zuhause ist. Die Autorin beschreibt unsentimental, aber voller Bewunderung das Leben dieser Vögel – ein Leben, das fast vollständig in der Luft stattfindet. Dabei überfliegen die Mauersegler afrikanische Länder, die von einer langen und komplexen Geschichte geprägt sind, Länder, deren koloniale Vergangenheit noch immer Spuren im täglichen Leben hinterlässt. Diese Geschichte zeigt sich heute immer noch in der Attitüde des Unterdrückers, im Umgang mit der Natur. Hier zeigt sich, wie tief das herrschaftliche Denken in den Strukturen verwurzelt ist – ein Denken, das den natürlichen Raum, in dem die Mauersegler leben, ebenso dominiert wie die Gesellschaften, die auf diesen Kontinenten existieren. Die präzisen Beschreibungen der Flugrouten in der Weite des Himmels rücken die phänomenalen Fähigkeiten von Lebewesen ins Zentrum, die vielen Menschen völlig unbewusst sind. Das Buch zeigt, dass viele Menschen gar nicht wissen, was ihnen alles entgeht, wenn sie sich nicht für andere Lebewesen interessieren. Ein Beitrag zur Wiederverzauberung der Welt, kombiniert mit sachlichen Analysen einer dystopisch orientierten Gesellschaft. Zur Horizonterweiterung dringend empfohlen.
Susa
Imke Müller-Hellmann: Der Zug der Mauersegler. 300 Seiten, Osburg-Verlag, Hamburg 2025 EUR 27,50