Code der Erinnerung

„Die Sonne ist nicht eckig geworden“ in der Zeitspanne, über die Ilma Rakusa schreibt, aber sie hat doch unser Leben und die Weltpolitik stark verändert – „in Jahren liegen Welten“. Es geht um die Corona-Zeit, genauer um die Zeitspanne zwischen Oktober 2020 und Februar 2022, in der Rakusa (fast) jeden Tag ein Gedicht schreibt. Diese lyrische Chronik bringt uns – fast tranceartig – zurück in die Corona-Zeit, in die Zeit der Lockdowns, in denen wir zu Hause saßen, kaum persönliche Kontakte hatten, zoomend im Home-Office saßen, viele Geschäfte und Einrichtungen geschlossen hatten. Die Zeit verfloss, Strukturen verflüssigten sich – „wohin mit uns“. So fließen ihre Gedichte ineinander, eines folgt auf das andere, man kann nicht aufhören zu lesen, wo endet das eine Gedicht, wo fängt das nächste an? „Wer bin ich allhier/im Gefolge der Dinge“ – so könnten wir uns fragen. Die Gedichte kommen nur auf den ersten Blick wie Naturbetrachtungen und Träume daher. Das ist Ilma Rakusas politischstes Buch. Wie in unseren Alltag, so brechen auch in den Gedichten die politischen Ereignisse jener Zeit in unser Leben – „Belarus macht mobil“. Ein beeindruckender Gedichtband, den man erst weglegen kann, wenn man das letzte Gedicht gelesen hat, aber „Der Himmel ist [jetzt] anders/über Kiew Charkiw Mariupol“.
Susanne Schweiger
Ilma Rakusa: Kein Tag ohne. Gedichte. Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2022 EUR 23,00