Das Ende ist der Anfang
Erstmalig 1954 wurde der Roman der englischen Autorin Elizabeth Jenkins publiziert, nun ist er in deutscher Sprache erschienen. Wer heute meint, dass die Emanzipation der Frauen selbstverständlich wäre, lese diesen zynischen Roman, um die verkrusteten Geschlechter-Verhältnisse in der Upper Class zu reflektieren. Das Verhandeln der Geschlechterkonflikte wird aus der Perspektive der mit einem prominenten Anwalt verheirateten Hausfrau Imogen vermittelt. Lange unterwirft sich die anpassungsfähige Imogen den Bedürfnissen ihres Mannes Evelyn, in dem sie diese antizipiert, ohne dass diese von ihm geäußert werden müssen. Lange Zeit unterschätzt Imogen das Verhältnis ihres Mannes zu ihrer um einige Jahre älteren Nachbarin Blanche. Was Blanche von ihren Kapitalien her auszeichnet, ist praktischer Hausverstand, Welterfahrenheit, Geschmack, Reichtum und dass sie als Chauffeurin keine Fahrt scheut, um Evelyn mit seinen gewichtigen Anwaltssorgen irgendwohin zu kutschieren. Darüber hinaus gibt es noch den Sohn der Familie, der nicht mit Kraftausdrücken spart, um seine geringgeschätzte Mutter zu kränken. Die Charaktere mögen mit ihren Eigenschaften überzeichnet sein, aber sie entsprechen dem Geschlechterwiderspruch vor 70 Jahren. Jenkins schafft keine Persönlichkeiten, mit denen sich Lesende identifizieren wollen, und dennoch verfügen diese über emotionale Anteile, die auch in uns wirken. In ihren Eitelkeiten sind die Charaktere jedenfalls kaum zu überbieten.
ML
Elizabeth Jenkins: Die Nachbarin. Aus dem Engl. von Eike Schönfeld. Nachwort von Hilary Mantel. 335 Seiten, Insel Verlag, Berlin 2025 EUR 24,70
