Ab- und Aufbrüche

Der 1974 sowohl in der DDR als auch in der BRD erschienene Roman der DDR-Autorin Gerti Tetzner wurde neu aufgelegt. Die dreißigjährige Karen W., ausgebildete Juristin und Mutter einer achtjährigen Tochter, verlässt ihren intellektuellen Mann Peters in Leipzig, um sich an ihrem Geburtsort auf dem Land neu zu orientieren. Ihre Stagnation in ihrem Beruf als Notarin und der erdrückende Stillstand in der kleinfamiliären Atmosphäre lassen ihr keine andere Wahl, als sich in einer vormals bekannten Umgebung neu zu erfinden. Die dörfliche Gemeinschaft beobachtet Karen mit Skepsis. Karen muss sich das Vertrauen der dort lebenden Menschen neu erarbeiten. Dadurch erfährt sie viel über die Lebensumstände der Menschen in der Dorfgemeinschaft. Mit Steinert, dem Tierarzt, freundet sie sich an. Ein halbes Jahr später besucht sie zu Weihnachten mit ihrer Tochter Peters, der sie nach dem Kurzurlaub zurück aufs Land begleitet. Die Entfremdung zwischen ihnen ist jedoch nicht mehr überbrückbar, Peters verlässt sie. Er begreift immer weniger ihre Gedanken, ihre Suche nach Sinn in einer Gesellschaft, die wenig Fragen zulässt und noch weniger Antworten bereithält. Es empfiehlt sich, vorab das Interview mit Gerti Tetzner am Ende des Buches zu lesen, um sich das Lebensgefühl in der DDR näher zu holen. Welche komplexen menschlichen Schicksale sich hinter der gesellschaftlichen Fassade verbergen, erkennt die Ich-Erzählerin. Gleichzeitig stellt sie fest, dass es leichter ist, sich gegen etwas zu entscheiden als dafür. Neuanfänge sind schwer.
ML
Gerti Tetzner: Karen W. Und Gespräch zwischen Carsten Gansel und Gerti Tetzner. 398 Seiten, aufbau Verlag, Berlin 2025 EUR 24,70