Ungleichheit verständlich erklärt
Rosa Lyons Buch zur Erklärung von globaler und nationaler, vornehmlich ökonomischer Ungleichheit ist sehr gut geeignet, um das Ausmaß, die Messung, das wissenschaftliche Verständnis und die Hintergründe von Ungleichheit zu erklären. Es geht um Einkommen, Vermögen, Konsum, Chancen oder Gesundheit. Mit sehr gut gestalteten Illustrationen von Stefanie Hilgrarth wird hier einiges plakativ gemacht, was sonst nur schwierig zu verstehen ist, wie die tatsächlichen Größenordnungen von Vermögensdifferenzen, gelagert in unterschiedlichen Vermögensarten und oft schwer erfassbar. Komplexe Probleme werden relativ einfach erklärt, wie etwa der oft nicht bedachte Zusammenhang zwischen funktionierenden Sozialsystemen und Vermögensungleichheit in der Bevölkerung, was Ländervergleiche erst sinnvoll macht. Das Buch bietet gut aufbereitete Kapitel zum historischen Hintergrund von Ungleichheit, der Verteilung von unbezahlter Arbeit und eine Diskussion von Gerechtigkeit. Aber: Das Kapitel „Wie Reichtum historisch entstand“ ([das] „Kapital […] kommt aus allen Poren blut- und schmutztriefend auf die Welt“) kommt ganz ohne die grausliche Erwähnung von Marx und der Idee der ursprünglichen Akkumulation aus, sondern lehnt sich an Rousseau an, der gemeint hat, die Leute waren halt naiv und hätten jenen, die begonnen haben, Felder einzuhegen und Zäune zu bauen, gleich sagen sollen, dass das nicht geht. Von den weiblichen Nobelpreisträgerinnen in der Ökonomie wird nicht Elinor Ostrom genannt, die Kooperation als wirksamer beforscht hat als neoliberalen Individualismus, sondern Claudia Goldin, die bürgerliche, weiße, heteronormative Frauen und deren Gender Pay Gap untersucht hat. Das Kapitel zu unbezahlter Arbeit kommt ganz ohne die Nennung feministischer Ökonomie oder dekolonialer Kritik aus. Einige Quellen originärer Ideen wurden ganz ausgespart bzw. recht zwanglos aus anderen nicht-wissenschaftlichen Texten übernommen. Kurzum, das Buch ist empfehlenswert, es erklärt Ungleichheit sehr gut für Leute, die wissen wollen, wie aufgeschlossene Volkswirt*innen über eines der brennendsten Probleme unserer Zeit denken. Obwohl in einer schönen Grafik Macht als Gipfel der Vermögensfunktion aufgezeichnet ist, bleibt der Text recht gefällig, ohne komplexe machtkritische Analysen interdisziplinär zu diskutieren – was ja doch sehr spannend wäre!
Karin Schönpflug
Rosa Lyon: Mehr als Geld. Warum Ungleichheit unsere Zukunft bedroht. 176 Seiten, Brandstätter, Wien 2025 EUR 25,00
