Andere Musenküsse

In ein überraschendes und fesselndes Ambiente schickt Daniela Chana ihre 9 Figuren, die in ebenso vielen Geschichten auftreten. Sie stellt den Texten jeweils eine der 9 Musen voran. Diese agieren aber nicht wie in der klassischen Kunstgeschichte als inspirierende Handlangerinnen männlicher Künste. Vielmehr zeichnet die Autorin sie als eigenständige Frauen. Sie fordert das Klischee heraus, das häufig der Muse umgehängt wird. Bei ihr stehen die Musen eher als Vorbilder zur Verfügung. So entdeckt und entlarvt eine Ich-Figur des Erzählbandes den Alltagsmythos eines kräftigen Symbols wie roten Lippenstift als Machtinstrument für Inszenierung und schildert ganz nebenbei ein Gespräch in der Parfümerie, dazu die Herablassung der perfekt gestylten Verkäuferin. Einen typischen Einblick in die ironischen Hintergrundgedanken liefert etwa die Überlegung, ob die Verkäuferin vielleicht das gesamte Makeup vor dem Verfallsdatum aufbrauchen muss. Durch Übersteigerung entwickelt sich eine Verstärkung der seltsamen Persönlichkeitszüge der ProtagonistInnen. „Seltsam“ – wie im Titel – sind die Figuren insofern, als sie Weiblichkeitsklischees explizit widerstehen. Die weiblichen Ich-Figuren handeln selbst, stehen im Leben, sie bewegen sich eher weg von den Männern, die Randfiguren der Geschichten bleiben. Die präzise Sprache – die Autorin hat bisher Lyrik veröffentlicht – schafft äußerst anschauliche und lebendige Situationen, die hie und da betörend ins magisch Realistische hinüberschweifen.

Susa

Daniela Chana: Neun seltsame Frauen. 224 Seiten, Limbus Verlag, Innsbruck 2021 EUR 18,00