Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Hildegard Macha, geboren 1946, kann als emeritierte Professorin für Pädagogik und Erwachsenenbildung auf mehrere Jahrzehnte einer wissenschaftlichen Karriere zurückblicken. Einer ihrer Schwerpunkte war Gender und Diversity. Im Mittelpunkt dieser autofiktionalen Erzählung steht jedoch wider Erwarten die jahrelange schwere sexuelle Gewalt im Kindesalter durch den Vater und die massiven psychischen wie auch physischen Folgen im Erwachsenenalter. Die Erzählerin und gleichzeitig Hauptfigur führt die Lesenden durch ihren Erinnerungs- und Heilungsprozess. Mittels Tagebucheinträgen und Gesprächen mit ihren Geschwistern rekonstruiert das dritte von vier Kindern einer privilegierten Familie in Westdeutschland nach 1945 eine Reihe von Lebensereignissen und wie sich die Folgen der Traumatisierung ihren Weg bahnten. Immer wieder sind es schwere körperliche Erkrankungen, welche die Hauptfigur trotz ihres privaten und beruflichen Voranschreitens zu längeren Pausen zwingen. Auch die fehlenden Gefühle in der eigenen Wahrnehmung befördern die immer schmerzhafter werdende Selbstreflexion. Die nicht-lineare Erzählweise bildet den Schreibprozess der Hauptfigur ab. Die Lesenden begegnen einerseits dem ausgelieferten Kind und bekommen andererseits detailliert geschilderte Ereignisse und Dialoge präsentiert. Am Ende verkündet die erwachsene Frau im Alter von 76 Jahren, die Folgen des Missbrauchs gemeistert zu haben. Kaum zu glauben, dass es sich bei diesem Text um eine Fiktion handeln könnte!
anita inzinger
Hildegard Macha: Gleichstellung als Lebensaufgabe. Eine fiktionale wissenschaftsbiografische Erzählung. 258 Seiten, Budrich, Opladen/Berlin/Toronto 2025 EUR 38,50