Aufrichtigkeit ohne inneren Zensor

Von 1957 bis 1989 unternahm Christa Wolf zehn Reisen nach Moskau, um sich mit bedeutsamen SchriftstellerInnen oder Intellektuellen aus der Sowjetunion zu verständigen. Die Eindrücke dieser Reisen hielt sie in Tagebüchern und Briefen fest. Begleitet wurde sie von namhaften SchriftstellerInnen wie Brigitte Reimann, Erwin Strittmatter, Max Frisch oder Anna Seghers. Die Entfernung zu den zeitlichen Ereignissen lassen die Stimmung der Autorin für die heutige Leserin schwerer entschlüsseln. Ihre persönlichen Gedanken sind geprägt davon Anteil daran zu nehmen, wie sich eine sozialistische Gesellschaft mit allen „wenn und aber“ Konstellationen im Aufbruch befindet. Auch wird ihre Rolle in der Stasi thematisiert, indem beispielsweise der mit ihr befreundete Autor Lew Kopelew die böswilligen Attacken von den westlichen Medien kommentiert und zerlegt. Letztlich ist festzuhalten, dass Christa Wolf weder systemkonform mit der DDR war, noch sich mit dem späteren deutschen Zusammenschluss arrangierte. Ausführlich wird auch wiedergegeben, wie ihr höchst gelungener Roman „Kindheitsmuster“ aufgenommen wurde. Die Frage, was der Grundstein für eine bessere Gesellschaft ist, ist schwer zu beantworten, aber Wolf hat literarisch dazu einige Versuche unternommen. ML
Christa Wolf – Moskauer Tagebücher, Wer wir sind und wer wir waren. Hg. von Gerhard Wolf und Tanja Walenski. 267 Seiten, Suhrkamp Verlag, Berlin 2014 EUR 23,60