Aufwachsen im Zweiten Weltkrieg

„Dieda“ ist der neue Name, unter dem Ursel nun gerufen wird. Ihr Vater, ein Wiener Arzt, hat sie mit seiner neuen Frau und deren Familie aufs Land geschickt, in Sicherheit vor den Bomben, die auf Wien abgeworfen wurden. Ursel vermisst alle – ihre kürzlich verstorbene Mutter, ihren Vater, ihre Großeltern. Die Stiefmutter, deren Schwestern und ihr Vater („der Alte“) haben nicht viel für sie übrig, der Alte hält Dieda sogar für gefährlich. Nur ihre Cousins Harald und Tommy und die Nachbarin Frau Fischer samt Tochter Gretel mögen sie. Es sind schwierige Monate für Ursel, voller Hunger und Ablehnung, und niemand erklärt den Kindern, was los ist. Endlich ist der Krieg vorbei, und Ursel und ihre hochschwangere Stiefmutter kehren nach Wien zurück. Aber auch dort ist alles anders geworden, viele Häuser liegen in Trümmern, ihre Schulfreundin erzählt von Luftschutzbunkern, der Angst der Frauen vor Vergewaltigungen und Kannibalismus. Und die Stiefmutter gebiert ein Mädchen und nicht den ersehnten Jungen. Renate Welsh, selbst 1937 in Wien geboren, schreibt sehr anschaulich und mitfühlend, was in Ursel vorgeht, was sie denkt, aber vor allem wie damals ein Mantel aus Schweigen und Erschöpfung über allem lag, wie Politik und Nazigräuel nur in Andeutungen thematisiert wurden, und wie die Kinder selbst mit allem fertig werden mussten.
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Renate Welsh: Dieda oder Das fremde Kind. 168 Seiten. Obelisk, Innsbruck-Wien 2018 EUR 10,00