Aussichten für einen Neuanfang

Bei einer Behandlung im Spital verabreicht die Krankenpflegerin Julia einer Patientin aufgrund einer Namensverwechselung ein falsches Medikament, so dass diese kollabiert und es zu einem Noteinsatz kommt. Durch die selbst hervorgerufene Stresssituation wird Julia zur Asthmatikerin. Sie wird nach einem längeren Krankenstand gekündigt und kehrt frustriert der Stadt den Rücken, um in ihr Heimatdorf Hofmark im Innergebirg zurückzukehren. Ihr arbeitsloser Vater lebt allein. Der einzige Bruder David ist aufgrund einer Hirnhautentzündung in der Kindheit in einem Heim untergebracht. Die Mutter hat vor Kurzem den Vater verlassen, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Nach einem Spaziergang kehrt Julia in der Dorfkneipe ein und lernt den Städter Oskar kennen. Oskar verweilt nach einem Herzinfarkt zur Erholung im Dorf. Ihm gefällt der Ort, obgleich die dortige Atmosphäre auf Julia beklemmend wirkt. Die ortsansässigen Frauen sind nicht sichtbar und die Männer verbringen aufgrund von struktureller Arbeitslosigkeit ihre Zeit mit Kartenspielen in der Kneipe, die von einem unglücklichen Alkoholiker geführt wird. Durch Oskars Einmischung ändert sich einiges, es wird plötzlich etwas kollektiv unternommen. Auch Julia bricht auf. Minutiös, unaufgeregt fängt Birgit Birnbacher auch in ihrem dritten Roman die Stimmungen der einzelnen Figuren auf, um darüber aufzuklären, dass Aufbrüche ohne Eigeninitiative nicht möglich sind. Erst die Selbstermächtigung ermöglicht persönliche Freiheit. Das Ringen um eigene Entscheidungen ist ein aufwendiger Prozess, der immer wieder von Zweifeln durchkreuzt wird.
ML
Birgit Birnbacher: Wovon wir leben. 191 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, Berlin 2023 EUR 24,70