Berichte aus dem Kriegsgebiet

Von Stadt zu Stadt begleiten die LeserInnen die Journalistin Janine di Giovanni durch ein Syrien in unterschiedlichen Stadien der kriegerischen Auseinandersetzungen im Jahr 2012. Während mehrerer Reisen trifft die Autorin auf KämpferInnen, politische AktivistInnen und ZivilistInnen verschiedenster Seiten und zeichnet ein verwirrendes, grauenhaftes und ausweglos scheinendes Bild eines Gebietes, in dem einst Angehörige unterschiedlicher Volks- und Religionsgruppen ein friedliches Auskommen miteinander fanden. Über eine Begegnung mit einem ranghohen Offizier der syrischen Armee schreibt sie, er habe Sunniten als Freunde, wie auch Schiiten und Juden und Christen. „Als Kinder haben wir alle immer gesungen: Eins, eins, eins, alle Syrer sind eins.“

Diese Begegnungen lassen kleine hoffnungsvolle Funken aufflackern, die sogleich durch die detaillierte Schilderung von Folter, Vergewaltigung und Waffengewalt zunichte gemacht werden. Wie konnte das alles nur passieren? Die GesprächspartnerInnen der Autorin würden diese Frage wohl sehr unterschiedlich beantworten. Die Autorin selbst maßt sich keine Antwort an, vielmehr versucht sie – sehr gelungen – möglichst viele verschiedene Perspektiven sichtbar zu machen, indem sie die LeserInnen an ihren Begegnungen teilhaben lässt. Die sich im Anhang befindliche Chronologie der kriegerischen Auseinandersetzung von Jänner 2011 bis April 2016 kann bereits zu Beginn der Lektüre als Orientierung dienen.

Gerda Kolb

Janine di Giovanni: Der Morgen als sie uns holten. Berichte aus Syrien. Aus dem Engl. von Susanne Röckel. 251 Seiten, S. Fischer, Frankfurt/M. 2016 EUR 22,70