Dämonen der Vergangenheit
Als Dreißigjährige beginnt sich Bergljot zu erinnern, wie sie als Fünfjährige mit ihrem Vater ein Hotelbett teilte und er am Nachmittag die Vorhänge zuzog, um mit ihr zu ‚kuscheln‘, an Wanderungen mit ihm durch den Wald, die auf einsamen Lichtungen endeten. Und an seine Drohungen „niemandem davon zu erzählen“. Als Erwachsene konfrontiert sie ihre Familie mit dem Missbrauch, aber man glaubt ihr nicht. Bergljots Mutter und die beiden jüngeren Schwestern sehen darin den Versuch einer ungeliebten Tochter, sich ‚wichtig zu machen‘. Nur ihr Bruder Bård, der selbst auch ein Opfer der väterlichen Willkür war, ist auf ihrer Seite. Bergljot bricht mit ihrer Familie, bekommt eigene Kinder und wird eine erfolgreiche Schriftstellerin. Als sie fast 60 Jahre alt ist, stirbt der Vater. Durch den Streit um das Erbe brechen die alten Wunden wieder auf. Die Übergriffe des Vaters haben tiefe Spuren in Bergljots Seele hinterlassen. „Wie war es, ein normaler Mensch zu sein?“, fragt sie sich. „Ich wusste nicht, wie es war, ein normaler Mensch zu sein, ein unbeschädigter Mensch, ich hatte keine andere Erfahrung als meine eigene.“ Bei der Testamentseröffnung versucht Bergljot noch einmal, der gebrochenen Mutter und ihren Geschwistern von dem Missbrauch zu erzählen. Im Roman Ein falsches Wort geht es darum, wem die Vergangenheit gehört. Mit unverwechselbarer Konsequenz erzählt Vigdis Hjorth von der Sehnsucht nach Anerkennung, von der Kraft der Befreiung und von der Frage, ob wir unserer eigenen Geschichte vertrauen dürfen.
Ute Fuith
Vigdis Hjorth: Ein falsches Wort. Aus dem Norweg. von Gabriele Haefs. 400 Seiten, S. Fischer, Frankfurt/M. 2024 EUR 26,50