Denkübungen und Leidenschaften

Die nun erschienenen sieben Texte der 2004 verstorbenen Intellektuellen Susan Sontag stammen aus den 1970er Jahren. Im ersten Beitrag geht es ihr um die unterschiedliche Auswirkung des Älterwerdens der Geschlechter. Während Männer hauptsächlich nach ihrem Sein und Tun beurteilt werden, werden Frauen beim Älterwerden durch ihre gesellschaftliche Rolle auf die äußerliche Erscheinung reduziert. Historisch sichtbare unabhängige Frauen werden mit männlichen Attributen ausgestattet und als Ausnahmen gesehen. Der zweite Beitrag beinhaltet die Beantwortung von Fragen zum Thema Frauenbefreiung und Klassenkampf, in dem Sontag aufzeigt, wie komplex die Beantwortung der Frage je nach ökonomischer Entwicklung eines Staates ist. Das Aufbrechen beruflicher Männerdomänen in der kapitalistischen Welt erscheint ihr als wesentlich, um die Unterdrückung der Frauen zu beseitigen, ebenso wie die Demokratisierung der Familienarbeit. In den weiteren Beiträgen wird von ihr aus feministischer Perspektive beispielhaft die Kunstproduktion im Faschismus beleuchtet, in dem sie kritisch das Gesamtwerk und die Selbstdarstellung der umstrittenen Regisseurin Leni Riefenstahl untersucht.

Auch wenn Susan Sontags streitbare, engagierte Ausführungen älteren Datums sind, verlangen sie aktuell Aufmerksamkeit, da sie hellsichtig eine Position eines undogmatischen radikalen Feminismus vertreten und beweisen, wie wichtig der Diskurs ist, um gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern. Zu Recht lässt sich Sontag auch als eine frühe Ikone des Queerseins begreifen.

Antonia Laudon

Susan Sontag: Über Frauen. Hg. von David Rieff. Aus dem amerik. Engl. von Kathrin Razum. 207 Seiten, Hanser, München 2024 EUR 23,70