Der dreiste Blaustrumpf
Marie Ebner-Eschenbach
* 1830 – † 1916
»Am Vorabend der silbernen Hochzeit eines allverehrten Ehepaares […] erschoß sich die Frau.«
So beginnt Marie Ebner-Eschenbach die Erzählung Das tägliche Leben. Die Etikettierungen: * milde Autorin der Idylle * Dichterin der Güte * mütterliche, mitleidige, tierliebende Matrone ließen ihre Werke in der Folge bald verstauben. Heute begreifen wir, wie diese Zuschreibungen sie ganz und gar verfehlen.
Marie von Ebner-Eschenbach, geborene Gräfin Dubsky, hatte sich als Dichterin ihrer Zeit gegen ein ganzes Heer durchzusetzen, das mit ihrem Aphorismus „Eine kluge Frau hat Millionen Feinde, alle dummen Männer“ nur angedeutet ist. Sie kämpfte gegen die Ablehnung ernster Beschäftigung weiblicher Wesen, gegen die Wissenslücken durch aristokratische Erziehung – Blaustrumpf war ein Schimpfwort –, gegen Familien- und Gesellschaftspflichten langweiligster und aufwendigster Natur: sich kümmern um ihre depressive Schwiegermutter, um die zahlreichen Neffen und Nichten, später um den alten Vater. „Ich kann nur arbeiten, wenn es nichts mehr zu tun gibt“, klagt sie, und gegen die daraus resultierende lebenslange Migräne: „Könnte ich mich mit Schreiben abgeben, ich würde gesund.“ Die Freiheit, die ihr die Gesellschaft gewährte, konnte sie nur auf dem Rücken eines Pferdes ausleben, nach Möglichkeit, eines temperamentvollen. Aber Resignation ist ihre Sache nicht, Dulden, das der Frau als Tugend aufgezwungen wird, ist ein Unrecht, das Dichtung nicht zulässt, so ihr Credo. So lenkt sie den Pegasus in scharfem Ritt als „Anwältin der Unterdrückten“ sozialkritisch, mit beißender Adelsschelte, witzig, satirisch, sarkastisch, ohne Scheu vor Tabubruch und ohne Angst vor Skandal. Die Hürden, die sie dabei nimmt, werden von der Familie ungern gesehen, eine positive Literaturkritik lässt lange auf sich warten. Als ihr Roman Božena
von der gefürchteten Kritikerin Betty Paoli lobend rezensiert wird, kommt sie sich vor wie in Drachenblut gebadet.
In ihrer Kindheit erfuhr Marie die Ablehnung ihrer poetischen Versuche bis zur Verurteilung. Ihre Schwester seufzt über diesen Makel: „Sprich nicht davon; dann vergeht’s vielleicht.“ Das tut es nicht. Ein Lichtblick wird ihr Cousin Moritz. Der fünfzehn Jahre Ältere nimmt sie ernst und ermutigt sie. Außerdem erkennt er ihren Wissensdurst, und dem gebildeten jungen Offizier bietet sich ein erfolgreiches Feld für seine pädagogischen Neigungen. Daraus entwickelt sich eine beiderseitige Zuneigung, die schließlich auch das Ehehindernis der nahen Verwandtschaft via Dispens von Rom überwindet. Marie ist achtzehn, Moritz von Ebner-Eschenbach dreiunddreißig, als sie heiraten. Das ist im März 1848, und das Ehepaar beobachtet die Revolution vor seinen Fenstern mit gemischten Gefühlen. Zunächst ist Marie „voll Begeisterung für das Anbrechen einer neuen herrlichen Zeit“, wird dann aber von der blutigen Gewalt abgestoßen.
Auch Moritz wird im Laufe der Ehe ihre „Schriftstellerei“ kritisieren, besonders, wenn der Erfolg ausbleibt, erst recht, wenn es einen Skandal gibt: „Du trägst meinen Namen“, fährt er sie an. Sogar Marie Kittl, die geliebte einstige Erzieherin, ermahnt sie: „die Gattin [hat ihren Platz] vor der Dichterin.“ Der Kunst nur halb zu gehören, damit ist das Leben nicht zu gewinnen, so die störrische Ansicht Ebners. Glücklicherweise erfährt sie früh Ermutigung vom Dichterfürsten Grillparzer. Von besonderer Bedeutung wird für sie Ida Fleischl-Marxow. Die „[g]escheidte, superiore Frau“, so Ebner in ihrem Tagebuch, wird mit ihrem literarischen Verständnis zu Maries unschätzbarer Beraterin. Daraus entwickelt sich eine lebenslange Freundschaft. Freundschaften pflegt sie jahrzehntelang, und sie erwirbt neue bis ins hohe Alter. Delikaten Takt entwickelt sie gegenüber Marie von Najmájers Liebeswerben, das sie zu einer anhaltenden Freundschaft umzulenken vermag; offen ist sie für das Talent der Helene von Druskowitz, zugleich aber um sie besorgt. Ebner überlebt alle, auch die Dichterin Josephine von Knorr, mit der sie sich von Jugend an austauscht. Es sind diese Briefe, die der Vernichtung nach dem Tod der Freundin durch Zufall entgangen sind, und die eine wichtige, weil unzensierte Quelle für Daniela Strigls Ebner-Eschenbach-Biografie wurden.
Die Machtverhältnisse in einem Satz, die Verlogenheit in einem Wort, die Dummheit in einem Blick
Ebners Ehrgeiz beginnt mit Gedichten, dann wendet sie sich dem Drama zu, damals die Königsdisziplin, in der sie, seit sie dreizehn war, vorhatte, die Höhe von Shakespeare und Schiller zu erreichen. Ihren Durchbruch erzielt sie aber erst mit Erzählungen, Novellen und Romanen. Dabei wagt sie nicht nur inhaltlich Unerhörtes, sie experimentiert auch mit verschiedenen Textgattungen. Da wären der Briefroman Franzensbad, ein freches, frisches Frühwerk, das die Eitelkeit der Adeligen und Reichen im Kurbad respektlos karikiert; die verinnerlichte Untertänigkeit der Frauen ist Thema in Die Poesie des Unbewußten, einer kurzen Novelle in Korrespondenzkarten; oder die dialogisierte Novelle Ohne Liebe, in der sie die Frau in der Ehe als gleichrangig zeichnet. Ebner macht sich lustig über die Kritik an ihrer literarischen Freibeuterei, spießt sexistische Aburteilungen auf: „beinahe so gut, wie wenn ein Mann es geschrieben hätte“ (Die Visite) und verarbeitet Autobiografisches, meistens mit einem starken Schuss Selbstironie. Ihre scharfsichtigen Analysen bündelt sie in Aphorismen, eine bislang männliche Domäne, die zu einem Erfolg führen, der sie selbst überraschte.
Die Machtverhältnisse in einem Satz, die Verlogenheit in einem Wort, die Dummheit in einem Blick: Ebner-Eschenbachs Dorf- und Schlossgeschichten sind glasklare Beobachtungen der Heuchelei der „Frommen“; der arroganten Dummheit des Adels und dessen selbstgerechte Grausamkeit; der Unterdrückung der Frauen durch Gewalt und Doppelmoral: Ideal sei die Gattin, „die niemals Nachsicht braucht, aber immer Nachsicht übt“; der hämischen Schadenfreude selbst Unterdrückter gegenüber Ausgegrenzten, die wiederum ihre Verkrüppelung an Tieren auslassen. In drei Erzählungen beschäftigt sie sich mit Vergewaltigung und deren traumatischen und materiellen Folgen – alle drei Frauen werden schwanger –, die sie für den Rest ihres Lebens zeichnen, während die Männer es als ihr Recht ansehen oder über eine gelungene Verführung triumphieren. Und sie zeigt starke Frauen, wie
Božena, Dienstmagd und Amazone, Lotti, die Uhrmacherin und in Das tägliche Leben ist es eine engagierte Frau, die den täglichen Zumutungen der Ehe nicht mehr begegnen will: „Ein gut berechneter Schuß, den eine ruhige Hand geführt haben mußte“ – eine absolut moderne Erzählung, verfasst 1908.
In Das Gemeindekind, Die Spitzin, Er laßt die Hand küssen sind es die Outlaws, die von der etablierten Gesellschaft, egal ob Adel, Kirche oder Dorfgemeinschaft anstatt Anteilnahme und Hilfsbereitschaft Misstrauen bis zu Brutalität begegnen, von christlicher Nächstenliebe ganz zu schweigen. Im Gemeindekind ist es einzig der atheistische Lehrer, der sich des jungen Helden annimmt. Beklemmend realistisch schildert sie die Entwicklung von Hetzmeuten, präzise seziert sie deren Mechanismen, ein hartes Thema, kaum bearbeitet, am wenigsten von einer Frau. Nein, Rührseligkeit ist Ebners Sache nicht, aber manche der doch in die Nähe eines Happy Ends gehenden Schlüsse sind Zugeständnisse an den Druck der Familie oder des Verlags.
Ebner-Eschenbach war „eine Zerrissene zwischen den Epochen“, so Daniela Strigl. Sozialkritisch aber nicht sozialistisch, antiklerikal aber religiös, gegen den Dünkel des Adels aber im Glauben an dessen Edelmut, antidynastisch aber doch monarchistisch. Ihre Werke zeigen „sozialromantische Züge“ mit utopischen Vorstellungen einer egalitären Gerechtigkeit: „Eigentum ist Diebstahl, was ist dann Erben?“ so eine aphoristische Zuspitzung, notiert im Tagebuch. Demensprechend engagierte sie sich für Frauenemanzipation, ihre Vorbilder sind Georges Sand und Madame de Staël. Die beruflichen Möglichkeiten von Frauen beweist sie selbst mit einer Uhrmacherausbildung. Mit siebzig erhält sie als erste Frau das Ehrendoktorat der Universität Wien, an der erst drei Jahre davor Frauen endlich studieren durften. Ein weiteres starkes Engagement gilt der Bekämpfung des Antisemitismus und hier verlässt sie ihre noble Zurückhaltung: „antisemitische Krätze“, „elendes Pack“, ihren Erzfeind Lueger nennt sie „Canaille“.
Den Herausgeberinnen der vierbändigen Ausgabe von Marie von Ebner-Eschenbachs Werken Evelyne Polt-Heinzl, Daniela Strigl und Ulrike Tanzer gebührt großer Dank für die Bergung dieses kostbaren Leseschatzes samt jeweils ausgezeichnetem Vorwort. Darüber hinaus befriedigt Daniela Strigl die Neugier auf das Leben der bedeutendsten österreichischen Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts mit der Ebner-Eschenbach-Biografie Berühmt sein ist nichts. Eva Geber
Marie von Ebner-Eschenbach. 4 Bände im Schmuckschuber. Hg. v. Evelyn Polt-Heinzl, Daniela Strigl und Ulrike Tanzer. 1.400 Seiten, Residenz Verlag, Salzburg 2015 EUR 75,00 (auch einzeln erhältlich)