„Der Wille zur sozialen Revolte … Dem Patriarchat die Stirn bieten“
Der WEIBERDiwan sprach mit Susanne RIEGLER über ihren Film Verwegen. Mutig. Radikal. – Künstlerinnen der feministischen Avantgarde der 1970er Jahre und über ihre Zusammenarbeit mit Gabriele SCHOR, der Gründungsdirektorin der Sammlung VERBUND.
Susanne RIEGLER arbeitete lange freiberuflich für den ORF. Als sie 2017 über eine Ausstellung im MUMOK zum Thema „Feministische Avantgarde der 1970er-Jahre“ berichtete, konnte sie im ORF-Archiv fast nichts dazu finden. So begann ihre Recherche zu dem Thema. Nun hat sie einen Dokumentarfilm über feministische Künstlerinnen mit dem Titel Verwegen. Mutig. Radikal. gedreht, der heuer erstmalig im Kino zu sehen ist.
WD: Könntest du deinen beruflichen Background beschreiben?
SR: Ich habe ursprünglich im Printjournalismus gearbeitet. Mitte der 1990er Jahre bin ich zum Fernsehen gekommen, wo ich Magazinbeiträge und später Dokumentationen gestaltet habe. Ich war nie eine ‚klassische‘ Angestellte, sondern eine „ständige freie Mitarbeiterin“. Das ermöglichte mir, eigene Filmprojekte zu verwirklichen, wie etwa Der lange Arm der Kaiserin, eine Dokumentation über die Geschichte der Abtreibung. Ich war lange Zeit Referentin am Rosa-Mayreder-College, einer Bildungseinrichtung, die das „Feministische Grundstudium“ ausrichtete und bin seit 30 Jahren im Vorstand eines Frauenhauses. Vor eineinhalb Jahren bin ich als ORF-Mitarbeiterin in Pension gegangen und mache nur mehr Dokumentationen. Entweder als Regisseurin im Auftrag von Produktionsfirmen oder eben wie jetzt auch als Produzentin.
WD: Mit welchen Themen beschäftigst du dich?
SR: Mit herrschaftspolitischen, feministischen Themen, die selten erzählt werden. Zum Beispiel habe ich einen Kurzfilm mit dem Titel Irreführung über den Begriff ‚Arbeit‘ in der Prostitution gemacht. Hört man darin die Berichte der Frauen, was sie da alles über den rechtsfreien Raum Prostitution erzählen, muss man sich unweigerlich fragen, wie überhaupt jemand auf die Idee kommen kann, dieses ausbeuterische Terrain als ‚Arbeit‘ bzw. ‚Sexarbeit‘ zu bezeichnen. Mich interessieren also Geschichten, die im neoliberalen Mainstream kaum vorkommen. Dazu gehört auch, um zu meinem aktuellen Film zurückzukommen, das Leben ‚alter‘ Frauen. Die in einer Zeit, in der das hehre Ziel einer Frau darin bestand, eine gute Hausfrau, Mutter, Ehefrau zu werden, beschlossen haben, ausgerechnet Künstlerin zu werden. Die also allein schon durch ihre Berufswahl aus der herkömmlichen Frauenrolle fielen und erst recht, wenn sie dann noch das Patriarchat im Allgemeinen und speziell die männlich dominierte Kunst auf den Kopf stellten.
WD: Die Patriarchatskritik ist in den Werken absolut sichtbar. Es gab für diese Kunst damals keinen Markt. Die ökonomische Überlebensfähigkeit der Künstlerinnen bleibt weitgehend offen. Ging es dir eher um die gläserne Decke, dass die Kunstproduktion der Frauen materiell nicht gewürdigt wurde?
SR: Den sogenannten ‚Markt‘ für Künstlerinnen gab es einfach deshalb nicht, weil es Männer waren, die als Sammler, Galeristen, Kunstkritiker bestimmten, was Kunst ist. Trotzdem ließen sich die Frauen nicht davon abhalten, ‚ihre‘ Kunst zu machen, weil es etwas Existentielles für ihr mentales Überleben war, ein Ventil. Renate BERTLMANN sagt, sie habe sich nie explizit vorgenommen, ‚feministische Kunst‘ zu machen. Die sei ‚passiert‘. Auch die in Ostdeutschland lebende Gabriele STÖTZER sagt, sie hätten das ja nicht gemacht, weil Frauenthemen „gerade mal in“ gewesen seien. Sondern es ist „existenziell und aus Verzweiflung passiert, weil wir alle so einsam und hoffnungslos waren“.
WD: War denn VALIE EXPORT die Einzige, die in diesen Jahren bereits einen Berühmtheitsgrad erreicht hatte, weil sie mit Männern wie Peter Weibel zusammengearbeitet hat?
SR: VALIE EXPORT und ihre Arbeiten wurden in Österreich ebenfalls lange Zeit nicht ‚gewürdigt‘, sondern vielmehr skandalisiert und angefeindet. Natürlich ‚hilft‘ das bis zu einem gewissen Grad, um bekannt zu werden. Es mag auch sein, dass ihr die anfängliche Zusammenarbeit mit männlichen Kunstschaffenden wie Peter WEIBEL oder den Wiener Aktionisten zu größerer Aufmerksamkeit verholfen hat. Aber in erster Linie war es ihre schon sehr früh, in den 1960er Jahren, öffentlich an den Tag gelegte Radikalität – etwas, was man von Frauen bis dato nicht kannte – die für nationalen, aber auch internationalen Aufruhr sorgte.
WD: Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Film über diese Künstlerinnen zu machen?
SR: 2017 zeigte das MUMOK in Wien erstmals in Österreich die Ausstellung Feministische Avantgarde der 1970er Jahre aus der Sammlung des VERBUND-Konzerns. Kuratiert von Gabriele SCHOR, der Sammlungsgründerin. Ich machte einen ORF-Beitrag darüber und stellte bei der Archivrecherche fest, dass es kaum Material über die Künstlerinnen gab. Offenbar erachtete man diese Kunst als nicht berichtenswert. Also nahm ich bald drauf meine Kamera und begann, Interviews mit den Künstlerinnen zu führen. Denn irgendwann werden sie, nachdem viele schon über 80 sind, nicht mehr von ihrem Leben erzählen können. Da ich aber kein Budget dafür hatte, habe ich viele Interviews allein gemacht, Bild, Ton und Licht, alles! Aber das hatte auch den Vorteil, dass das Setting persönlicher war, nicht so technisch überladen.
WD: Hast du dich gleichzeitig um Subventionen bemüht?
SR: Ich habe das Thema verschiedenen Sendungen im ORF angeboten – um öffentliche Filmförderung lukrieren zu können, braucht man den ORF als Partner – aber leider nur Absagen erhalten. Unter anderem mit der Begründung, dass es sich um ein „Nischenthema“ handle.
WD: Wie hast du den Kontakt zu den Künstlerinnen aufnehmen können?
SR: Einige Künstlerinnen kannte ich bereits, die mich dann an andere weiterempfohlen haben. Viele Kontakte habe ich auch über die Direktorin der Sammlung VERBUND, Gabriele SCHOR, bekommen. Sie war es auch, die mich, nachdem ich bereits auf einem großen Berg Drehmaterial saß, ermutigte, den Film durchzuziehen, und bot mir, um ihn zu finalisieren, finanzielle Unterstützung an. Das war einerseits Glück, denn ich wüsste nicht, wie ich das sonst geschafft hätte. Andererseits macht es auch Sinn, da fast alle Künstlerinnen, die in meinem Film vorkommen, in der Sammlung VERBUND vertreten sind. Es gibt übrigens in Europa keine zweite Sammlung dieser Art. Gabriele SCHOR hat, salopp formuliert, einen guten Riecher gehabt. Sie hat die Werke regelrecht gesucht. In alten Katalogen und auf Dachböden ist sie fündig geworden. Die in Schaffhausen lebende Künstlerin Renate EISENEGGER konnte es nicht glauben, als sich Gabriele SCHOR für Werke interessierte, die die Künstlerin das letzte Mal vor 40 Jahren ausgestellt hatte. Sie standen noch genauso verpackt, wie sie 1972 von einer Ausstellung in Berlin zurückgekommen waren, am Dachboden.
WD: Wovon haben die Künstlerinnen gelebt? Gerda Fassel etwa kam aus einer Arbeiterfamilie. Als sie für einige Zeit in die USA gegangen ist, hat sie in der Gastronomie gearbeitet, um Kunst studieren zu können.
SR: Von der Kunst selbst konnten nur ganz wenige leben. Die Ankäufe durch die öffentliche Hand waren ebenfalls enden wollend. Die meisten brachten sich mit ‚Handwerk‘ durchs Leben: Fotografieren, Restaurieren. Andere unterrichteten. Margot PILZ arbeitete als Werbegrafikerin. Renate BERTLMANN z.B., die nach ihrem Studium 10 Jahre lang Lehrbeauftragte an der Akademie und dann ausschließlich freischaffende Künstlerin war, sagt, dass sie ohne ihren Mann, der Physiker war, über weite Strecken nicht hätte überleben können.
WD: Was verbindet diese Frauen miteinander?
SR: Ich finde, dass sie alle ein unglaubliches Durchhaltevermögen auszeichnet, eine Resilienz. Sie waren teilweise auch geprägt von den Entbehrungen der Zeit während bzw. nach dem 2. Weltkrieg. Aber sie sind auch als ‚Bewegung‘ miteinander verbunden. Denn man muss sich vorstellen, dass es damals kein Internet und keine sozialen Medien gab, und dennoch haben sie, ohne einander zu kennen, gleichzeitig gleiche Themen mit gleichen Stilmitteln bearbeitet: Dazu gehören z.B. die Inszenierung des eigenen Körpers, die Rollenspiele, die Glasscheibe als durchsichtige Wand. Und dann ist da noch diese gegenseitige Unterstützung. Karin MACK formuliert das so: „wenn eine Künstlerin eine Ausstellung hatte, sind wir alle hingegangen. Dadurch waren die Ausstellungen immer gut besucht und das Solidaritätsprinzip hat uns auch vor der Einsamkeit bewahrt.“
WD: Die IntAkt (Internationale Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen) ist so ein Zusammenschluss, der im Film am Rande erwähnt wird.
SR: Ja, allein über die IntAkt könnte man eine eigene Doku machen. Ich wollte das auch. Aber leider wurde auch dieser Vorschlag im ORF abgelehnt. Nun bin ich froh, dass sie zumindest am Rande in meiner Doku vorkommt, denn die IntAkt war ganz, ganz wichtig, um kulturpolitische Forderungen durchzusetzen.
WD: Die Künstlerinnen erzählen unterschiedliche Geschichten.
SR: Es war mir wichtig, dass die Künstlerinnen jeweils unterschiedliche Aspekte ihres sozialen und politischen Umfelds und ihrer Überlebenskämpfe beleuchten. Deshalb war mir auch die Internationalität wichtig, denn in Wien oder Paris feministische Kunst zu machen war nicht das Gleiche wie im ehemaligen Jugoslawien oder in der DDR. Aus diesen facettenreichen Biografien habe ich einzelne Themen herausgearbeitet, die ich dramaturgisch miteinander verwoben habe. Ich habe dabei sehr intuitiv, ohne Drehbuch gearbeitet. Die Dramaturgie ist mehr oder weniger organisch gewachsen.
WD: Das Publikum kommt als Stimme im Film nicht vor, wieso hast du auf diese Stimme verzichtet?
SR: Natürlich wäre die Sicht des Publikums interessant gewesen, etwa von jüngeren Menschen, die sich diese Ausstellungen anschauen. Ich hatte sogar welche interviewt. Aber irgendwie hat es dann nicht hineingepasst. Es kam mir aufgesetzt vor, wie bei den Fernsehnachrichten, wo man zu einem bestimmten Ereignis Menschen auf der Straße fragt: „Und was sagen Sie dazu?“
WD: Der Zusammenhang der Künstlerinnen mit dem Feminismus ist dir ein besonderes Anliegen.
SR: Ja, denn viele Künstlerinnen der 1970er Jahre waren in den Sog der Neuen Frauenbewegung geraten. Vieles von dem, was die Künstlerinnen damals zum Thema machten, wie etwa die Pornofizierung und Sexualisierung des weiblichen Körpers, die Gewalt an Frauen, etc., ist nach wie vor aktuell. Als der Film herauskam, hatten kurz vorher FPÖ und ÖVP bei ihren Koalitionsgesprächen allen Ernstes eine ‚Herdprämie‘ als Belohnung für Frauen in Erwägung gezogen, die ihre Kinder daheim erziehen. Da ist mir sofort die Fotoserie Hausfrauen-Küchenschürze von Birgit JÜRGENSSEN eingefallen. Die stammt aus dem Jahr 1975 und zeigt die Künstlerin mit einem um den Bauch geschnallten Küchenherd.
WD: Es ist offenbar nicht leicht, dass ein feministischer Film finanziert wird!
SR: Bezogen auf die öffentliche Förderungspolitik lässt sich das so sagen.
WD: Für mich war der Manager vom Verbundkonzern am Ende des Films irritierend.
SR: Das haben einige angemerkt. Aber da bin ich zu sehr Journalistin: Im Film taucht die Frage auf, wie es sein kann, dass ausgerechnet ein von Männern dominierter Konzern eine feministische Sammlung besitzt? Journalistisch betrachtet verlangt das nach einer Antwort vom Konzernchef. Und das ist – wenig überraschend – halt ein Mann.
WD: So gesehen hatte dieser Auftritt seine Berechtigung, damit die Zuschauer*innen besser verstehen, wie der Kunstbetrieb funktioniert. Gibt es einen Austausch zwischen älteren und jüngeren Künstlerinnen?
SR: Einerseits durch die Lehre, andererseits z.B. durch spezifische Themenausstellungen, wo ‚ältere‘ Künstlerinnen auf junge Positionen treffen. Und durch persönliches Mentoring. Renate BERTLMANN ist zum Beispiel so eine Mentorin und Orientierungsfigur für junge Künstlerinnen. Das hat u.a. auch mit dem ‚queeren‘ Touch einiger ihrer Arbeiten zu tun.
WD: Ach, das erstaunt mich, wenn ich an ihr Werk denke!
SR: Ich meine, dass einige ihrer Werke bereits in den 1970er Jahren etwas vorweggenommen haben, das erst viel später sichtbar wurde – nämlich den transformativen Aspekt von Geschlechternormen. Durch das ironische Bloßstellen des männlichen Glieds – ein häufiger Topos bei Renate BERTLMANN – stört bzw. zerstört sie die phallische Ordnung. Und genau das spricht die heutigen Queer-Feministinnen* an.
WD: Ist Patriarchatskritik in der Kunst weiterhin ein wichtiges Thema?
SR: Ich bin keine Kunstexpertin und kann das auch nur als Beobachterin beurteilen. Ich finde, dass sowohl die feministische Patriarchatskritik als auch die sozialkritische Perspektive in der Kunst in den Hintergrund treten. Vielmehr spielen Identitätsfragen eine große Rolle. Siehe das Programm der Wiener Festwochen, die unter dem Motto Republik der Liebe stehen, oder das im Juni proklamierte Queering the Belvedere, das ein Zeichen der Vielfalt und Diversity setzt. Alles in allem lieb und bunt, aber nicht – wie die Feministinnen der 1970er Jahre – radikal.
WD: Der Begriff der „feministischen Avantgarde“ abschließend?
SR: Den Begriff „Feministische Avantgarde“ hat Gabriele SCHOR etabliert. Hartnäckig brachte sie den Begriff in den kunsthistorischen Diskurs ein, um die Pionierleistung der Künstlerinnen der 1970er Jahre hervorzuheben. Sie gab dazu ein knapp 700 Seiten umfassendes Werk heraus. Durch diesen Katalog und dank der regen Ausstellungstätigkeit der Sammlung VERBUND – die Feministische Avantgarde tourte bereits durch fast alle großen Museen Europas – hat sich der Begriff, den es vorher gar nicht gab, fix in den Kanon der Kunstgeschichte und in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeschrieben. Ich finde, das ist eine echte Leistung.¶