Die Subalternen!
Nun ist der zweite Erzählband der bereits 2004 verstorbenen amerikanischen Autorin Lucia Berlin veröffentlicht worden. Ihre HeldInnen sind ähnlich wie im ersten Band gestrandete LebenskünstlerInnen, die selten materiell erfolgreich im Leben sind, dafür aber in ihren sozialen Beziehungen umso leidenschaftlicher agieren und lebendig bleiben in einer Welt, die nicht zu retten ist. Crack, Koks, Heroin, Morphium und, immer wieder exzessiv, Alkohol sind die Zutaten der einsamen Ich-Figuren oder ihrer Lebensgefährten, die das Leben ihnen verschreibt, weil sie anders als der Mainstream ticken. Ihre Überlebensdosis sind die zwischenmenschlichen Begegnungen, denen erweisen sie Aufmerksamkeit. Ihre Aufenthaltsorte sind Entzugskliniken, Gefängnisse oder die häuslich, prekäre einengende Privatsphäre. In der Geschichte „Albern, wer dort weint“ geht es um Charlotta, die einen Jugendfreund jährlich wieder trifft und exakt nach dem Treffen reflektiert, dass es das letzte Mal war, denn dieser ist empathielos und statisch in seiner persönlichen Bilderbuchwelt, die er damit stabilisiert, dass er blind für das Leid anderer Menschen ist. Berlin schafft es, in wenigen Sätzen Stimmungen zu erzeugen, sie bewertet nie direkt, sondern verhandelt stimmungsgeladene Eindrücke mit einer messerscharfen Klinge aus dem Situativen. Die Intention muss entschlüsselt werden und verlangt erhöhte Aufmerksamkeit. Es ist nichts vorhersehbar. Erkenntnisse werden lautlos gewonnen!
ML
Lucia Berlin: Was wirst du tun, wenn du gehst. Aus dem amerik. Engl. von Antje Rávic Strubel. 176 Seiten, Arche, Zürich-Hamburg 2017 EUR 19,60