Die Wahrheit hat viele Seiten

Es ist das Jahr 1947, Johnny kehrt aus dem Zweiten Weltkrieg nach Lennox heim, einem Kaff in Connecticut. Glory, seiner jungen Ehefrau, erscheint seine Rückkehr nicht gerade gelegen. Sie ist verliebt in den Tankwart Ed, der als Schürzenjäger stadtbekannt ist. Ihre herzlose Mutter Lil wiederum sehnt sich nach Reichtum, dazu fantasiert sie, dass doch endlich ihre wohlhabene Schwiegermutter das Zeitliche segnen möge. In einer Sturmnacht kommt es zu einigen Kollateralschäden, die aber auch etwas Gutes in sich bergen. Das mag trivial klingen, aber die Romane der afroamerikanischen Autorin Ann Petry geben tiefe Einblicke in die Abgründe einer gespaltenen Gesellschaft. Petry beschreibt die unterschiedlichen Figuren sowohl von ihrem äußerlichen Erscheinungsbild wie von ihrer Psyche her so exakt, dass vor dem eigenen inneren Auge sichtbar wird, wie sich Konflikte aufladen und entladen. Nur eine Nebenfigur im Roman ist Schwarz, umso mutiger, dass Petry Themen wie Rassismus und Antisemitismus in den USA der 1940er Jahre nicht ausspart. Im Grunde sind die Figuren ‚Normalos‘, und zwar genau die, die denken, dass sie die Definitionsmacht darüber besitzen, was gesellschaftlich erlaubt oder erwünscht ist. Doc Fraser der Apotheker als Chronist mit seiner Katze Banana versucht sachlich, die Geschichte zu rekonstruieren. Seien wir froh, dass am Ende die eingebundene allwissende Erzählerin uns hinter allerlei Kulissen hat schauen lassen. Kurzweilig!
ML
Ann Petry: Country Place. Aus dem amerik. Engl. von Pieke Biermann. Mit einem Nachwort von Farah Jasmine Griffin. 296 Seiten, Nagel & Kimche, München 2021 EUR 24,70