Eine unangepasste Autorin
Die bereits mit 39 Jahren verstorbene Brigitte Reimann ist innerhalb der Literaturszene der DDR eine der interessantesten Autorinnen, da sie bereits in den 1950er Jahre feministische Themen progressiv in ihren Texten verarbeitete. Bei den nun erstveröffentlichten Erzählungen aus ihrem Frühwerk geht es um die Brisanz einer ungewollten Schwangerschaft einer Schülerin, um einen Sklavenaufstand, dessen Erfolg massiv von der Intervention einer Sklavin abhängig ist, um weibliche Solidarität gegenüber einem jüdischen Verfolgten oder um die berufliche Selbstverwirklichung einer jungen Frau, die dieser wichtiger ist als die durch die Liebe beschworene Rückkehr an den Herd. Die Autorin verfolgt eine lehrstückhafte Vorstellung von Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und entwirft mit Optimismus selbstbewusste Frauencharaktere, die in der Gesellschaft punktuell bereits angekommen sind. Wenn beispielsweise in einer Geschichte an der Oberfläche die Männer dominieren, sind es dennoch die Frauen, die Stärke beweisen, die eine gesellschaftliche Aufbruchstimmung signalisieren. Carsten Gansel, der 2023 eine Biografie zu Brigitte Reimann veröffentlichte, führt in seinem Nachwort genau diese schriftstellerische Qualität aus, dass im literarischen Schaffen von Reimann Frauen bereit sind, für das Kollektiv Verantwortung zu übernehmen und ihrer Zeit voraus sind.
Antonia Laudon
Brigitte Reimann: Katja. Nachwort Carsten Gansel. 239 Seiten, aufbau Verlag, Berlin 2024 EUR 22,70