Erzwungene Kraftanstrengungen

Die Berliner Autorin beschreibt in behutsamer Weise, wie sich ihr Lebensgefährte aufgrund eines Sturzes von der Leiter bei der Wohnungsrenovierung neu in seinem Leben zurecht finden muss, da er querschnittsgelähmt ist. Obgleich sie gewillt ist, weiterhin das Leben mit ihm zu teilen, ist die Änderung zahlreicher Alltagsrituale unvermeidbar, wenn Bewegung im Spiel ist. Vieles davon wird schweigend verarbeitet, entweder beobachtet oder angenommen. Durch Therapien lernt er mit äußerster Anstrengung mit Krücken zu gehen, später meidet er Therapien, „weil sie ein Spiel mit der Hoffnung treiben, das er nicht jedes Mal verlieren will“.

Umgeben von den Eindrücken über die Nachbar*innen verschiedenster Kulturen verschiebt sich der Alltag für beide. Der Mikrokosmos erfordert ständige Aufmerksamkeit und die Rücksichtnahme der anderen. Die Sprache, der sie sich bedient, um die Lebenswelten zu rekonstruieren, ist ausgefeilt und präzise. Der Roman schafft Verständnis. Für den, der eingeschränkt ist und für die, die sich aus Solidarität einschränken lässt und zuweilen an Grenzen stößt, aber ahnt, wie unausweichlich seine Grenzen sind und von ihm erlebt werden. Ähnlich wie in ihrem erfolgreichen Roman „Das Verschwinden des Philip S.“ besticht die Autorin mit der Genauigkeit ihrer Sprache, wie sie aufgrund von Beobachtungen Lebensgefühle unprätentiös wiedergibt und damit überzeugend Stimmungen entwickelt.

ML

Ulrike Edschmid: Ein Mann, der fällt. 191 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2017 EUR 20,60