Feministische Design-Geschichte

Zuerst ein Blick! Die Neon-Schmuckfarbe am Karton des Covers (grau, unbehandelt, Understatement) brüllt uns entgegen: Hier bin ich! Marmorpapier am Buchrücken und als Vor- und Nachsatz ein Hinweis, dass wir gleich in die Geschichte des Machens eintauchen. Der Schnitt, bunt gestreift, sodass man Lust bekommt, bei Knallrot oder bei Schwarz oder bei Petrolblau hineinzublättern. Das Buch der Kunst- und Designhistorikerin Gerda Breuer lässt sich als Nachfolgewerk ihres 2012 (gemeinsam mit Julia Meer) herausgegebenen Women in Graphic Design 1890 – 2012 lesen. Gleich auf den ersten Seiten treffen wir Mela Köhler, deren Ansichtskarten der Wiener Werkstätten von unverkennbarer grafischer Sprache sind, oder Lyubov Popowa, die mit einem Cover der Muzykalnaia Nov, einer Musikzeitschrift aus Moskau und Sankt Petersburg, aus dem Jahr 1924 vertreten ist. Sodann tritt Breuer in siebzehn Kapiteln den Beweis an, dass Grafikdesignerinnen in der gesamten Designgeschichte vertreten sind. Der gelungene Beweis ist bestärkend und unterhaltsam. Breuer führt uns zum Design der Sufragettenbewegung, nimmt uns mit in die Reklamekunst, in den sowjetischen Modernismus und in die Druckwerkstätten des radikalfeministischen See Red Women’s Workshops. Ihr Buch macht sowohl der Geschichte von Frauen als auch jener von Queer-/Feministinnen Platz. Eng wird es, wo Breuer sich um Grafikdesigner:innen außerhalb der nordwestlichen Geschichtsschreibung bemüht. Sie strengt sich an, keine Frage. Aber mehr als eineinhalb Kapitel gehen sich da nicht aus. Diese Beschränkung hätte der Untertitel gerne verraten dürfen. Wir freuen uns auf die Breuer-Schüler:innen aus aller Welt, die ihre Geschichte des Graphic Designs aus den Metropolen und den Rändern des Globalen Südens, den Räumen anderer Schriften, Zeichen, Bildsprachen und Designgeschichten erzählen werden.

Lisa Bolyos

Gerda Breuer: HerStories in Graphic Design. Dialoge, Kontinuitäten, Selbstermächtigungen. Grafikdesignerinnen 1880 bis heute., 352 Seiten. Jovis, Berlin 2023