Gegen jegliches Gewissen

Anhand der Erzählungen ihrer Familie, alten Fotos und Briefen erzählt Hannah Brinkmann die Geschichte ihres Onkels, eines Pazifisten, der trotz größter Gewissensbisse 1972 zur Wehrpflicht in der Bundesrepublik Deutschland eingezogen wurde. Mit höchstem Detailreichtum zeichnet Brinkmann einen Teil der Nachkriegsgeschichte, die zum größten Teil vergessen ist: fast 20 Jahre nach Inkrafttreten des deutschen Grundgesetzes 1949 war für Politiker der BRD das Bekenntnis zum Pazifismus bereits wieder unwichtig geworden. Zwar hieß es im GG, dass niemand zum Wehrdienst gezwungen werden dürfe, doch wurde es den Männern schwer gemacht, von diesem Gesetz Gebrauch zu machen. Zum Verhängnis vieler, auch Hermann Brinkmanns, der schon als Kind Gewalt verabscheute und sich sicher ist, dem Tribunal das klar machen zu können. Nein, er wird eingezogen. Seine Gesundheit verschlechtert sich, er leidet unter Depressionen. Nachdem auch dies kein Grund für seine Freistellung bedeutet, findet er seinen einzigen Ausweg im Suizid. Hannah Brinkmann legt ein Debüt vor, das seinesgleichen sucht, jede Seite ein Kunstwerk, das die Leser*in in die seelischen Tiefen des Protagonisten führt und den patriarchalen Zwang, der Männer zu gefühlserkaltetem Kanonenfutter werden lässt, darstellt.
Andreea Zelinka
Hannah Brinkmann: Gegen mein Gewissen. 231 Seiten, Avant, Berlin. 2020, EUR 30,00