Heimsuchung
Die junge, frisch verheiratete Schwarze Schriftstellerin* Dana wird im Kalifornien des Jahres 1976 unfreiwillig in ein Zeitloch gezogen und findet sich im 19. Jahrhundert auf einer Plantage in den Südstaaten wieder, wo sie den kleinen Rufus vor dem Ertrinken rettet. Diese unerklärlichen Zeitreisen wiederholen sich, jedes Mal „ruft“ Rufus Dana zu Hilfe. Er ist weiß, der Sohn eines Sklavenhalters, und wird, nachdem Dana ihm mehrfach das Leben gerettet hat, ihre Urururgroßmutter Alice vergewaltigen – und damit ihre Existenz ermöglichen. Dana ist also gefangen in einem ungleichen und dennoch wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis mit Rufus. Die Zeiträume, die Dana in der Vergangenheit der Sklaverei verbringt, dehnen sich immer weiter aus, einmal zieht es sogar ihren weißen Ehemann mit. Dana – und aus einer privilegierten Position auch ihr Ehemann – erleben das System der Sklaverei am eigenen Leib. Mittels dieses Kunstgriffs lässt Butler ihre Leser*innen dieses System, wenn auch in abgeschwächter, „verdaulicher“ Form, nacherleben. Und sie zeigt, wie die Sklaverei die Gegenwart heimsucht, in ihr fortwirkt und dabei keine*n unverletzt lässt.
Es ist w_orten & meer, der sich als Verlag für antidiskriminierendes Verhalten versteht, und vor allem der Übersetzerin* Mirjam Nuenning zu verdanken, dass Kindred nun in einer Neuübersetzung vorliegt, die sich um eine dem Thema angemessene Sprache verdient macht und sich als positionierte Übersetzung gerade an eine Schwarze Leser*innenschaft richtet.
Dagmar Fink
Octavia Estelle Butler: Kindred – Verbunden. Aus dem Engl. von Mirjam Nuenning. Vorwort von Mirjam Nuenning und Sharon Dodua Otoo. 361 Seiten, w_orten & meer, Berlin 2016 EUR 16,50