Hommage an eine vergessene jüdische Malerin

In der Reihe Jüdische Miniaturen zeichnet Heike Carstensen ein kurzes, aber inhaltsreiches Porträt der zu Lebzeiten bekannten und erfolgreichen, nach 1945 aber vergessenen und erst seit den 1970er Jahren wiederentdeckten Malerin und Graphikerin ­Julie Wolfthorn. Der biographische Abriss beginnt mit ihrer Übersiedlung von Thorn (daher der selbstgewählte Name Wolfthorn) nach Berlin, mit Geschwistern und Großmutter. Wolfthorn erhält Privatunterricht in Malerei und Zeichnung. In Paris, wo Kunstakademien Frauen bereits offenstehen, setzt sie ihre Ausbildung fort, entwickelt ihren Stil dekorativer Porträtmalerei mit abgestufter Farbgebung, wird vom Impressionismus und Plakatkunst inspiriert, führt ein Bohèmeleben.
Zurück in Berlin erlebt sie 1897 ihren künstlerischen Durchbruch, ist gut vernetzt und aktiv in der damaligen reformorientieren Kunst- und Kulturszene – u.a. ist sie Mitbegründerin der Berliner Sezession – befreundet mit Ida Dehmel und Anna Muthesius, besucht Künstlerkolonien wie Worpswede und Hiddensee. Sie reist viel, u.a. nach Rom, stellt ihre Bilder in ganz Deutschland aus. Sehr wichtig ist ihr die institutionelle Vernetzung mit anderen bildenden Künstlerinnen und der Zugang von Frauen zur Berliner Kunstakademie.
Ab 1933 ist sie im Kontext jüdischer Kunstvereinigungen weiterhin künstlerisch tätig. Ihre Versuche, sich vermittels ihrer Kunst die Emigration zu erkämpfen, scheitern. 1942 wird sie nach Theresienstadt deportiert, wo sie 1944 als über 80-Jährige umkommt.
SaZ
Heike Carstensen: ­Julie Wolfthorn: Mit Pinsel und Palette bewaffnet will ich mir die Welt erobern. (Jüdische Miniaturen, Bd. 228). 88 Seiten, 25 Abbildungen, Hentrich & Hentrich, 2020 EUR 9,90