Hunger

Der dritte Roman der dänischen Autorin Tine Høeg ist zeitgleich mit seiner Netflix-Verfilmung auf Deutsch erschienen. Als Buch ebenso erfolgreich wie die beiden ersten Werke bezeichnet die Autorin ihn explizit als autofiktional. In kurzen tagebuchartigen Einträgen begleiten wir die Protagonistin Mia ein Jahr lang bei einer Fertilitätsbehandlung. Der Text mutet an wie das Negativ eines Social-Media-Streams, beleuchtet das Leben zwischen dem Herzeigbaren. In einer einzigartig schonungslosen, offenen und tabulosen Schilderung der inneren und äußeren Vorgänge werden nicht nur das Thema Kinderwunsch – der titelgebende ‚Hunger’ nach einem eigenen Kind – und die entmenschlichenden, medizinischen Behandlungen, die diesen erfüllen sollen, verhandelt, sondern auch zahlreiche Aspekte zeitgenössischer Mutter- und Elternschaft, besonders Fragen rund um Patchwork-Familien. Mias Partner hat bereits zwei Kinder und ist damit in einer ganz anderen Ausgangssituation für die vielen erfolglosen Befruchtungsversuche. Aber im System der Fertilitätsmedizin ist er ohnehin nur der Statist mit dem Becher, für den im Behandlungszimmer nicht einmal ein Stuhl bereitsteht.
Eva Steinheimer
Tine Høeg: Hunger. Aus dem Dän. von Gerd Weinreich. 400 Seiten, Droschl, Graz 2025 EUR 26,00