Ich werde gebraucht, also bin ich

Margaret Stonborough-Wittgensteins Kindheit in der reichsten Familie Wiens, mit DienerInnen, Hauslehrern, umgeben von Künstlern, Gelehrten und einer großen Geschwisterschar, jedoch wenig elterlicher Liebe, war für sie Auftrag. Der enorme Reichtum machte Schuldgefühle und bedeutete ihr Verantwortung. Sie nahm ihr eigenes Leben in die Hand, selbstbewusst und unkonventionell. Sie heiratete jung, gestaltete für sich und ihren unsteten Mann Wohnungen und Häuser. Interessiert an Naturwissenschaft machte sie 1909 in der Schweiz die externe Matura, um Mathematik und Physik zu studieren. Margaret stiftete und verhinderte Ehen, erzog neben ihren beiden Söhnen auch zwei Pflegesöhne. Sie setzte sich für die Resozialisierung von Straftätern und für Kindsmörderinnen ein, förderte als Mäzenin junge Künstler, orga-nisierte in den USA Geld und Unterstützer für Milchlieferungen ins ausgehungerte Nachkriegs-Wien. Ihren Bruder Ludwig holte sie mit dem Bauprojekt in der Kundmanngasse – bekannt als „Wittgenstein-Haus“ – aus der Depression. Sigmund Freud, den sie eifrig las und heftig kritisierte, rettete sie aus Nazi-Wien. Margaret war ohne Frage eine spannende Frau, die das geliebte Wien nie lassen konnte. Die Biografie ist aber auch die Geschichte einer spannenden Familie mit Genialität, Verrücktheiten und Tragödien, angesiedelt im Wien der Jahrhundertwende, dem Kriegspatriotismus zum Beginn des 1. Weltkriegs, dem Schwarzen Freitag, der ihr Vermögen schrumpfen ließ, bis zur braunen Naziherrschaft.
Rosemarie Zehetgruber
Margret Greiner: Margaret Stonborough-Wittgenstein. Grand Dame der Wiener Moderne. 301 Seiten, Kremayr & Scheriau, Wien 2018 EUR 24,00