Ignorierte Netzwerke – Verbündete in Musik

Die feministische Musikologie kann, da sie Tabu an sich ist, Tabus überwinden: Das Lexikon der 210 österreichischen Komponistinnen, erschienen 2011, gab unter den biografischen Details die Mitgliedschaft in der NSDAP bzw. in der Reichsmusikkammer an. Wenn jetzt Musikerinnen-Netzwerke im 19. Jahrhundert Thema eines Sammelbandes werden, dann ist das Tabu der selbstlosen Gastgeberin und Saloniere überwunden: mit Hilfe der sozialen Netzwerkanalyse werden Knotenpunkte, gerichtete und ungerichtete Netzwerke ersichtlich, es zeigt sich der Grad der ausgehenden und eingehenden Beziehungen. Die Musikwissenschaft profitiert von soziologischen Methoden, von der Offenlegung der sozialen Verbindungen als Parameter für Karrieren. Voraussetzung ist die Arbeit des Sophie Drinker Instituts, in dessen von Freia Hoffmann betreuter Schriftenreihe das Buch auch erschienen ist. Hier wurde ein Instrumentalistinnen-Lexikon erarbeitet mit 750 Artikeln: für die Netzwerke ist die Recherche nach Konzertprogrammen, Empfehlungsschreiben, nach Schülerinnen-Listen, Wettbewerbs-Ergebnissen und anderen Dokumenten notwendig.

Der Netzwerk-Begriff wird His-story entrissen, auf die weiblichen Verbündeten in Musik angewandt: auf den französischen Musiksalon im 18. Jahrhundert, die Berliner Konzertagentur Wolff, auf Cellistinnen in Berlin, Geigerinnen in Wien, auf Wiener, Pariser und Londoner Netzwerke, Schönbergs Schülerinnen und den Kreis um Clara Schumann. Die Frage taucht oft und öfter auf: warum den Frauen Wege eröffnet und viel mehr versperrt werden.

Irene Suchy

Musikerinnen und ihre Netzwerke im 19. Jahrhundert. Hg. von Annkatrin Babbe und Volker Timmermann. 263 Seiten, BIS-Verlag, Oldenburg 2016 EUR 27,60