Interview mit Katja Russo – Frauen beraten Frauen

Der WeiberDiwan traf sich mit der Mitarbeiterin und langjährigen Vorstandsfrau KATJA RUSSO zum Gespräch.

Katja RUSSO ist seit 1990 Mitarbeiterin bei Frauen beraten Frauen und viele Jahre davon als Vorstandsfrau und Geschäftsführerin. Nun geht sie in Pension und arbeitet freiberuflich als Supervisorin, Coach, Mediatorin und Psychotherapeutin weiter. Der Weiberdiwan führte ein Interview mit ihr, um auf die Arbeit in einer Frauenberatungsstelle zurückzublicken – denn gerade solche Institutionen unterstützen Frauen dabei, sich zu emanzipieren.

WD: Wann wurde der Verein Frauen bera-ten Frauen gegründet? RUSSO: Der Verein Frauen beraten Frauen wurde 1980 von einer Gruppe feministischer Frauen gegründet und ab 1981 wurden Beratungen durchgeführt. Die Gründerinnen haben sich im Rahmen einer Gesprächstherapieausbildung kennengelernt, deren Inhalte sie oft als männerzentriert und frauendiskriminierend erlebt haben. Weibliche Lebensumstände und Bedürfnisse wurden kaum einbezogen, obwohl in der Praxis der Großteil der Klientinnen Frauen waren. Wenn Frauen berücksichtigt wurden, dann, indem sie patriarchal normativ abgewertet und ihre Verhaltensweisen pathologisiert wurden. Einige der Gründerinnen arbeiteten in Institutionen wie dem AKH oder dem Jugendamt usw., und auch dort erlebten sie patriarchal geprägte Männersysteme, die die Sozialisation, Lebensweise und die spezifischen Probleme von Frauen ignorierten oder – wenn sie thematisiert wurden – abwerteten. Im Sinne der Ziele der zweiten Frauenbewegung – wie Selbstbestimmung, Gewaltfreiheit und Sichtbarkeit von Frauen – begannen sie, an der Gründung einer psychosozialen feministischen Anlaufstelle in Wien zu arbeiten.

WD: Gab es da schon Räumlichkeiten, einen Ort dazu? RUSSO: Nein, es gab gar nichts. Ein, zwei Jahre zuvor hatte das erste Frauenhaus eröffnet. Es war eine WG-Wohnung in Wien, wo Frauen Schutz suchen konnten. Johanna Dohnal wurde 1979 als erste Staatssekretärin für Frauen im Bundeskanzleramt angelobt, aber Budget in dem Sinne hatte sie keines. Diese Frauengruppe hat zunächst in einem Untermietzimmer einer WG im 16. Bezirk ein paar Stunden in der Woche Beratungen für Frauen angeboten.

WD: Welche Themen wurden in den Beratungen bearbeitet? RUSSO: Ich bin erst ca. zehn Jahre später dazu gestoßen, aber zum Beispiel das Thema Gewalt gegen Frauen war und ist ein wichtiges. Vergewaltigung in der Ehe war noch legal bzw. existierte als Straftatbestand nicht. Der Tatbestand wurde erst 1989 ein strafrechtlich zu verfolgendes Delikt. Die damalige Familienpolitik beruhte darauf, dass die Frau dem Mann als Oberhaupt der Familie zu folgen hatte. Obwohl 1976 die Familienrechtsreform Frauen und Männer gleichstellte, war die gelebte Realität und in der Folge auch die Justiz noch stark an dem Modell des Mannes als Familienoberhaupt, der über den Wohnsitz, die Berufstätigkeit der Partnerin oder deren Einkommen verfügt, orientiert. Zum Teil ist das auch heute noch gelebte Realität.

WD: Du bist 1990 dazu gekommen. Was war dein Hintergrund? RUSSO: Ich habe die Sozialakademie gemacht und parallel dazu Psychologie und Soziologie studiert und war gerade damit beschäftigt, meine Abschlussarbeit für die Sozialakademie zu verfassen. Zufällig habe ich eine Kleinanzeige im Falter gelesen: „Frauenberatungsstelle sucht sozialarbeiterische Sekretärin für 25 Wochenstunden“. Das Gehalt war aus meiner Sicht in Ordnung. Es ist ein Grundsatz in der Frauenberatung, wenn Frauen arbeiten, sollen sie auch ausreichend Geld verdienen.

WD: Werden unterschiedliche Fördergeber benötigt? RUSSO: Ja, ein Teil wird von der Stadt Wien finanziert. Von Seiten des Bundes übernimmt das Frauenministerium, das Familienministerium oder auch das Sozialministerium die Kosten für Beratungseinheiten. Es kann auch bei der Europäischen Union für Projekte angesucht werden..

WD: Kommen wir zu den Beratungsthemen! RUSSO: Das Thema Scheidungen ist nach wie vor sehr wichtig. Mehrheitlich ist es so, dass die Frauen die Scheidungen einreichen und dazu Informationen benötigen. In den 1990er Jahren waren hier die Themen eher darauf angelegt, dass Frauen nicht berufstätig waren oder Teilzeit gearbeitet haben oder in der Firma ihres Mannes mitgearbeitet haben und einen Unterhalt für sich begehrt haben. Das Thema hat sich verschoben, jüngere Frauen haben heute eher das Bewusstsein, dass sie für ihre Existenz eigenständig sorgen müssen, obgleich viele da auch noch zu kurzsichtig sind. Gerichtlich wird ihnen nur mehr selten Unterhalt oder dieser nur zeitlich befristet gewährt. Sie haben das Bewusstsein, dass sie für sich selber sorgen müssen. Es darf nicht unterschätzt werden, dass es aktuell mehr von Armut betroffene Frauen gibt als in den 1990er Jahren. Armutsbetroffene Frauen sind oft der Meinung, dass sie selbst schuld sind, wenn sie sich die Mieten nicht mehr leisten können. In den 1990er Jahren waren sie eher der Meinung, dass sie Opfer einer gesellschaftlichen Realität sind, dass der Mann sie betrogen und geschlagen hat, dass die Verantwortung für ihre desolate Situation nicht bei ihnen liegt, sondern bei dem Mann, der auch Unterhalt zahlen soll. So gesehen hat mittlerweile eine Individualisierung für die Schuldzuweisung und die Verantwortung stattgefunden.

Bei Frauenthemen und Partnerschaftsthemen wird sehr viel mit Scham reguliert. In den 1990er Jahren war es weniger schambesetzt zu sagen, ich brauche Unterhalt, wenn ich 30 Jahre mit den Kindern zu Hause gewesen bin und in der Firma mitgearbeitet habe, aber kein reguläres Einkommen erhalten habe. Heute wird das immer stärker zum Tabu. Wenn wir heute Frauen fragen, ob ein Unterhaltsanspruch existiert, wird das von diesen vom Tisch gewischt. Grundsätzlich ist diese Selbstdefinition, für sich eigenständig sorgen zu können, gut und stärker ausgebildet, aber sie ist zweischneidig. Etwa 90% der Scheidungen sind in Österreich einvernehmlich. Einvernehmlich meint in Wirklichkeit, ich kann mir keinen Anwalt leisten, ich will nicht jahrelang streiten, ich kann mich gegen meinen Mann nicht durchsetzen, ich kann ihm nichts nachweisen, also verzichte ich lieber auf alles. Das ist die Realität bei den allermeisten Frauen. Und in den Konflikt zu gehen, wenn möglicherweise auch ein hohes Aggressionspotenzial beim Mann vorhanden ist, das wollen die meisten Frauen nicht. Hinter diesen 90% einvernehmlich versteckt sich alles. Natürlich auch die Paare, wo so eine Trennung gut verläuft. Dann gibt es die strittigen Scheidungen, die hoch eskalierten Fälle.

WD: Was spielt da eine Rolle? RUSSO: Vor allem die Abhängigkeiten, das spielt bei Migrantinnen eine Rolle, aber auch bei Österreicherinnen. Da spielt physische, aber auch psychische Gewalt eine Rolle. Gerade auch die ökonomische Gewalt ist nicht zu unterschätzen, wenn eine Frau nur 10 Euro von ihrem Mann bekommt und noch nachweisen darf, wofür sie die ausgegeben hat. Oder sie steuert ihr gesamtes Gehalt in die laufenden Kosten und er zahlt nur einen Bruchteil der Lebenshaltungskosten und bildet vom Rest Rücklagen. Der Klassiker, die Frau zahlt fast alles von ihrem niedrigeren Gehalt und der Mann zahlt die Miete und die Kosten für das Auto, vielleicht noch den Urlaub und ihm bleiben 50% seines Gehalts übrig, die er veranlagen kann. Bei der Trennung hat sie Null und eine dunkle Ahnung, dass da noch ein Geld sein müsste. Dann gibt es die Fälle von Erniedrigungen, die den Selbstwert täglich niedermachen. „Du bist eine fette Sau“, „Du kriegst überhaupt nichts zustande“ usw. Die psychische Gewalt wird von den Frauen auch oft nicht als Gewalt erkannt. Aber wenn einer Frau das ständig vorgehalten wird, dann macht das gesundheitlich etwas mit ihr.

WD: Was ist dabei euer Auftrag? RUSSO: Es ist keine Einbahnstraße. Manche wollen reden, manche kommen zur psychosozialen Beratung, manche kommen nur zur Rechtsberatung. Manche wollen in die Trennungsberatungsgruppe, manche wollen eine Anwältin. Manche wollen ins Frauenhaus oder überlegen, ob sie eine Anzeige machen wollen. Manche überlegen, ob sie die Anzeige zurückziehen sollen. Manche werden von den Gewaltschutzzentren oder von den Jugendämtern geschickt.

WD: Wie regelmäßig kommen die Frauen? RUSSO: Der Minimalkontakt ist eine Onlineberatung oder ein Telefonanruf, um eine bestimmte Information zu erhalten. Dann gibt es Langzeitkontakte, die auch schon einmal über fünf Jahre gehen können. Manche Frauen kommen wöchentlich, andere in Abständen von zwei Monaten oder sechs Wochen. Viele benötigen für ihre Sicherheit die offene Tür bei uns.

WD: Wie haben sich eure Arbeitsbedingungen entwickelt? RUSSO: In der Phase der 1980er Jahre in der Ära von Bundesminister Dallinger wurden sehr viele interessante Projekte für Frauen entwickelt. Die 1990er Jahren waren eher bleierne Zeiten. Die Fördergeber kontrollierten immer mehr, anstatt sich für den Output zu interessieren. Die Präsentationen wurden auf Hochglanz poliert. Als Verein sind wir von der jeweiligen Regierungspolitik abhängig. Es muss ständig etwas Neues präsentiert werden. Eine neue Ministerin muss sich von der vormaligen Ministerin abgrenzen. Wunderbar laufende Projekte, die tolle Teams haben und gut funktionieren, werden nicht weiter finanziert. Für die mediale Outputwirkung. Besser ist, sie dreht Bestehendes runter oder evaluiert es anders und finanziert stattdessen neue Aktivitäten. Für eine Organisationskultur ist das ein Wahnsinn, viel Wissen und eine gute Kooperationsebene gehen verloren. Anfang 2000 war das erste Mal Blauschwarz, da waren wir verunsichert, ob wir weiterbestehen können. Für uns hatte es letztlich die Folge, dass wir über 15 Jahre kaum Indexanpassungen erhielten. Das war ein jährlicher budgetärer Schrumpfungsprozess um ca. 2-3 %.

WD: Kommen wir noch kurz zur Gleichbehandlungsgesetzgebung, die sich 2004 für weitere Diskriminierungstatbestände geöffnet hat. Spiegelt sich das auch in eurer Beratungssituation wider? RUSSO: Es kommen Migrantinnen zu uns oder Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung. Die Themen kommen vor, aber eher selten in einem juristischen Zusammenhang. In unserer Arbeit geben wir den Frauen viel Raum, ihre eigenen Worte, ihren eigenen Weg zu finden. Oft besteht eine große Verunsicherung über die eigene Wahrnehmung – ist das wirklich so wie ich es erlebe oder bin ich schuld oder spinne ich? Was ist das, wenn der Partner mit dem Fuß die Tür eintritt oder gegen die Tür trommelt und die Frau auf die Seite rempelt. Es ist symbolische Gewalt, es ist eine Androhung, es ist eine Nötigung. Die Sprache zum Geschehen wird in den Gesprächen erarbeitet. Damit gewinnen die Frauen die Sicherheit, einzuschätzen, was passiert ist oder wie gefährlich die Situation weiterhin ist. Das ist Empowerment und Entwicklungsarbeit.

WD: Nehmen wir noch das Thema Arbeitswelt! RUSSO: Es kommen Frauen zu uns aus der Arbeit, die Konflikte im Team oder mit Vorgesetzten haben. Sie haben keine rechtlichen Kategorien im Kopf. Unsere Beratungstätigkeit liegt meist noch vor einem Gespräch mit der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Geschlechtsspezifische Diskriminierung in der Berufswelt ist häufig ein Thema. Beispielsweise, dass eine lang beschäftigte weibliche Führungskraft in einem Unternehmen viel schlechter bezahlt wird als ein gerade neu eingestellter Mann, der eine ähnliche Aufgabe zu bewältigen hat. Da ist dann der Weg zum Arbeitsgericht sinnvoll, aber ob es für die Karriere sinnvoll ist, ist nicht leicht abzuwägen. Gehaltstransparenz ist an sich eine wichtige Forderung, die in Unternehmen umgesetzt werden sollte.

WD: Ist das Thema sexuelle Übergriffe in der Arbeit auch wichtig? RUSSO: Bei sexuellen Übergriffen in der Berufswelt kommt es immer wieder zu Klagen, wo wir Frauen begleitend beraten. Oft sind die Fälle im Zusammenhang mit Mobbing. Frauen werden sexualisiert gedemütigt. Der Übergang zum Mobbing ist dann fließend. Gerade in solchen Zusammenhängen beraten wir auch Führungskräfte, die ein Konzept für ihr Unternehmen erarbeiten wollen, um präventiv gegen sexualisierte Gewalt vorzubeugen. z.B. kann sexuelle Belästigung in einer Betriebsvereinbarung thematisiert werden und Orientierung geben, was im Falle eines Falles zu unternehmen ist. Also welche Anlaufstelle sich eignet, welche Strukturen aufgebaut werden müssen usw.

WD: Was wünschst du der Beratungsstelle zum Abschluss? RUSSO: Ich wünsche ihnen, dass es Herausforderungen gibt, denen sie sich gut dotiert stellen können und dass es neugierig machende Themen gibt, mit denen sie experimentierfreudig umgehen können und dabei erfolgreich sind.

WD: Ich danke dir für das Gespräch!