Jenseits der Echokammer
Was bedeutet es heute noch, ‚links‘ zu sein? Diese Frage stellt Nora Haddada in ihrem Roman Blaue Romanze und dekliniert sie bis in intime Beziehungen hinein. Als Julian in einer Bar in Marseille zum ersten Mal auf Myriam trifft, spüren beide sofort eine starke Anziehungskraft. Beide sind jung, kritisch, intellektuell und genießen die Leichtigkeit einer Sommernacht. Doch Myriam zieht nach Paris, Julian kehrt nach Berlin zurück und der Kontakt bricht ab. Erst als Myriam für ihre Promotion nach Berlin zieht, kreuzen sich ihre Wege. Zwischen den Bücherregalen der Staatsbibliothek wachsen Nähe und Zuneigung. Der Sog weltpolitischer Ereignisse ändert das: Nach dem 7. Oktober finden sie sich auf entgegengesetzten Seiten einer hart geführten Debatte. Nora Haddada zeigt in Blaue Romanze, wie globale Konflikte das Private sprengen. Myriam ist eine deutsch-französische Studentin mit algerischen Wurzeln, geprägt von politischer Theorie an Universitäten auf beiden Seiten des Atlantiks. Julian ist ein Journalist, dessen Weltbild durch eine proisraelische und antifaschistische Jugendzentrumserfahrung in Deutschland geformt wurde. Mit ihrem Roman erzählt Haddada von Liebe, politischem Diskurs und von der Tragik unserer polarisierten Gegenwart. Der Nahostkonflikt fungiert als politisches Diskursfeld der Reibung, Annäherung und Erschütterung; welche Haltung die richtige ist, überlässt die Autorin der Leser:in. Die Liebesbeziehung fungiert jedoch als Brücke, um die Überzeugungen über die eigenen Echokammern hinaus zu tragen. Das Happy End ohne Brücke lässt noch auf sich warten.
Doris Arztmann
Nora Haddada: Blaue Romanze. 240 Seiten, S. Fischer, Frankfurt/Main 2025. EUR 24,70
