„Kopftuch-Zwang“ steht nicht im Koran

Geschockt sei sie gewesen, als sie mit über 40 Jahren den Koran zu studieren begann. Neun Jahre arbeitet Fatma Akay-Türker, 1975 in der Türkei geboren, als islamische Religionslehrerin. An 17 verschiedenen Schulen in Wien. Kritische Fragen der Mädchen zu Kopftuch und Ungleichbehandlung rütteln sie auf. Bislang hatte sie selbst – traditionell erzogen – geglaubt: Was Imame sagen. Was von Müttern überliefert wird. Die Frau müsse unauffällig sein, sich dem Mann unterordnen und gehorchen. Eine gezeigte Haarsträhne, wird gedroht, bedeute 70 Jahre in der Hölle.
Die Suche nach Antworten führt sie zum Theologiestudium. Sie forscht an der Quelle. Liest das arabische Original und rund 50 Übersetzungen. Vergleicht verschiedene Auslegungen. Verse über das Kopftuch oder gar einen Zwang – findet sie im Koran nicht. Auch keine kriegstreibenden Aussagen oder dass die Frau unterlegen sei. Ihr wird klar, warum Gelehrte und Sekten abraten, direkt den Koran zu lesen. „Sie wollen ihre eigenen Interpretationen und Ideologien verbreiten.“ Sich als Mittler zwischen die Menschen und Gott stellen. Bildung, Justiz und Militär unterwandern. Die größten Probleme des Islam: das Rollenbild der Frau und politischer Missbrauch. Nichts hinterfragen – dies sei Ziel von Traditionalisten wie Fundamentalisten. „Attentäter des IS berufen sich auf erfundene Hadithe, um Terroranschläge zu rechtfertigen.“ Ein Staat solle keine Religion haben, so die promovierte Historikerin. Die Religion sei für die Menschen da. Nach ihrer Auffassung ist der Koran, in seiner Ur-Aussage, eine Anleitung zur Selbstbeherrschung. Rituale wie Gebet und Fasten dienen der Klärung des Geistes. Aus Protest über das Frauenbild im Obersten Rat der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich legt Akay-Türker ihre Funktion als erste Frauensprecherin nach sechs Monaten zurück. Und das Kopftuch ab. Sie zitiert den Koran, Sure 13:11: „Allah ändert nicht den Zustand eines Volkes, wenn die einzelnen Personen ihren eigenen Zustand nicht ändern.“ Was folgt: ein aufklärerisches Buch und die Gründung der Muslimischen Frauengesellschaft in Österreich. Um Frauen zur Selbstbestimmung zu ermutigen.
Nina Kreuzinger
Fatma Akay-Türker: Nur vor Allah werfe ich mich nieder. Eine Muslimin kämpft gegen das Patriachat. 224 Seiten, Edition a, Wien 2021 EUR 22,00