Künstlerische Mission in Rottönen

Wie in einem Drehbuch für einen Spielfilm wird uns die Lebensgeschichte der ungarisch-indischen Malerin Amrita Sher-Gil (1913–1941) erzählt. Ausgangsmaterial für die Autorin sind reale Zeitdokumente wie Fotos, Tagebücher, Briefe und Medienberichte, die sie mithilfe von fiktiven Dialogen und Szenen lebendig werden lässt. Einstellung für Einstellung. Mit Schwenks, Überblendungen und Kamerafahrten. Mit Zeitsprüngen und Rückblicken.

Am Anfang des Romans steht das Ende. Amritas Mutter begeht Selbstmord. Sie hat den frühen und mysteriösen Tod ihrer Tochter nicht überwunden. Doch der Name Amrita steht für „Unsterblichkeit“. Und so wird sie mit ihren Werken als Wegbereiterin für die indische Moderne und als Ikone des zeitgenössischen indischen Feminismus in die Geschichte eingehen. Amrita wächst in zwei Kulturen auf. Die Mutter ist Ungarin mit großbürgerlichem Hintergrund, der Vater ein indischer Aristokrat und Gelehrter. Beide fördern das künstlerische Talent, erst in Budapest, später in Indien. Mit sechszehn Jahren geht Amrita nach Paris, um Malerei zu studieren. Sie malt Akte, Porträts und Stillleben und beeindruckt mit ihrem Charisma und ihrer emanzipierten Sexualität die Pariser Bohème. 1934 folgt sie jedoch der Sehnsucht, ihren Lebensstil zu ändern und kehrt nach Indien zurück: „Europa gehört Picasso, Matisse, Braque und vielen anderen. Indien gehört mir ganz allein.“ In Indien reist sie umher und erkennt ihre künstlerische Mission: Sie malt nun Alltagsszenen aus dem Leben der armen Bevölkerung und traut sich, auch das Leid der Frauen darzustellen. Dabei findet sie schließlich zu ihrer ganz eigenen Bildsprache – mit intensiven Farbkompositionen und vereinfachten, klar abgegrenzten Formen.

Nina Kreuzinger

Nathalie Rouanet: Indienrot. 128 Seiten, Edition Atelier, Wien 2024 EUR 20,00