„Meine Hände waren noch in meiner Unterhose“

Mit Fingerspitzengefühl habe ich in der U-Bahn, in der Uni, in der Arbeit, im Skatepark, in Anwesenheit von Freund_innen, in Anwesenheit von Fremden gelesen. Dennoch war es nicht so einfach. Ich habe darauf geachtet, dass ich den Titel beim Umsteigen in der U-Bahn mit der Hand verdeckte. Die aufgeschlagenen Seiten hielt ich nah an mich gedrückt. Ich achtete darauf, dass keine Kinder in der Nähe waren. Ich blickte oft um mich, um zu schauen, ob mich jemand komisch anstarrte. Ich stellte mir vor, in einer Instagram Story einer Person vorzukommen, die mich komisch fand. Ich dachte, ich bin eine besonders freie Person, die auch gerne vulgär spricht und sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Dieses Buch zeigte mir, dass das noch fern von der Wahrheit liegt. Das ist aber das Thema, worauf sich dieses Buch bezieht: Das Tabu zu sprengen, die weibliche Masturbation in den Raum zu stellen und sichtbar zu machen. Die Autorin fasst die Erfahrungen tausender Frauen zusammen, die sich zu dem Thema äußerten. Explizit werden Strateg­ien, Vorlieben und Erkenntnisse dargelegt. Dass diese physisch in Form eines offiziellen Buches präsentiert werden, ist für mich ein erster und wichtiger Schritt für den Anfang einer sich öffnenden Gesellschaft, die die Sexualität der Frau wahrnimmt und auch relevant macht.
Ekaterina Levtonova
Julia Pietri: Mit Fingerspitzengefühl – kleine Anleitung zur weiblichen Masturbation. 143 Seiten, Antje Kunstmann, München 2022 EUR 20,00